Heft 3 / 2022: "Drogenkonsum und -politik in der Gegenwartsgesellschaft"

Lisa Wessely / Martin Weber

Abstracts

Suchtprävention aktuell

Moderne Suchtprävention basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Unter anderem verlagert sich der Fokus von der Verhinderung des Suchtmittelkonsums auf die Arbeit an den Ursachen für eine mögliche Suchterkrankung. Daraus ergeben sich Standards, die nicht nur qualitätsvolles Arbeiten auszeichnen, sondern auch die Evaluation von Maßnahmen ermöglichen. Die Prozess- und Projektorientierung in diesem Bereich wurde jedoch durch die Corona-Pandemie ausgebremst. Mit einem Mal waren rasches Reagieren, Experimentieren und Neuorientierung an veränderten Rahmenbedingungen notwendig. Wie stark hat das die Suchtprävention verändert? Ist Agilität der neue Weg in der Angebotsentwicklung? Anhand eines Praxisberichts sollen diese Fragen mit konkreten Beispielen diskutiert und der Rahmen für künftige Überlegungen abgesteckt werden.

Current Addiction Prevention

Modern addiction prevention is based on scientific evidence. Among other things, the focus is shifting from preventing the use of addictive substances over to working on the causes of substance use disorders. This results in standards that not only characterize quality work, but also enable the evaluation of interventions. However, the process and project orientation in this area was partly slowed down as a consequence of the Corona pandemic. All of a sudden, rapid reaction, experimentation and reorientation to changed framework conditions appeared to be necessary. How much has this affected addiction prevention? Is agility the new way to develop prevention programs? On the basis of a practical report, these questions will be discussed with concrete examples. Furthermore, a framework for future consideration is to be defined.

Julian Strizek / Angelina Brotherhood / Martin Busch

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Suchtverhalten im Kontext der COVID-19-Pandemie. Eine kritische Diskussion vorläufiger Ergebnisse und der Aussagekraft verfügbarer Datenquellen

Dieser Beitrag diskutiert mögliche Veränderungen des Konsums von psychoaktiven Substanzen bzw. der Nutzung von Glücksspiel/ Sportwetten oder Computerspielen seit Beginn der COVID-19-Pandemie. Die hauptsächliche Datengrundlage bildet eine repräsentative Bevölkerungsbefragung, andere Datenquellen werden zur Kontextualisierung herangezogen. Es zeigt sich ein starker Zusammenhang zwischen Konsum- und Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial und psychischer Gesundheit sowohl in Bezug auf eine Intensivierung des Verhaltens seit Beginn der COVID-19-Pandemie als auch in Bezug auf das aktuelle Konsum- und Nutzungsverhalten. Der Einfluss von Bildung auf Konsum- und Nutzungsverhalten ist hingegen weniger stark und hat keinen einheitlichen Effekt. Insbesondere im Bereich von rezeptpflichtigen Schlaf- und Beruhigungsmitteln ist es zu einem deutlichen Anstieg gekommen. Gleichzeitig haben sich bestehende Trends fortgesetzt, wie vor allem die zunehmende Bedeutung neuartiger Tabak- und Nikotinprodukte.

Addictive Behaviours in the Context of the COVID-19 Pandemic. A Critical Diskussion of Preliminary Results and Available Data Sources

IThis article discusses changes in addictive behaviours since the beginning of the COVID-19 pandemic. Analyses are based on a representative population survey, the results of which are contextualised in connection with other data sources. Survey results illustrate the strong association between substance use and gaming/gambling and mental health. Both, an intensification of substance uses or gaming/ gambling since the beginning of the COVID-19 pandemic as well as current behaviours, correlate strongly with mental stress. The influence of education on consumption power is less obvious. There has been a significant increase in the use of prescription for sleeping pills and tranquillisers. At the same time, existing trends have continued (e. g. the increasing importance of new types of tobacco and nicotine products).

Meropi Tzanetakis

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Digitalisierung von illegalen Märkten: Folgen, Grenzen und Perspektiven

Der Beitrag untersucht sozioökonomische Veränderungen von Drogenmärkten durch die Verbreitung digitaler Technologien. Dabei steht vor allem das neuartige Phänomen der Kryptomärkte im Fokus. Durch die Verwendung von Anonymisierungssoftware können Handelnde auf Plattformen im Internet ihre Sichtbarkeit erhöhen, ohne dass gleichzeitig das  Risiko der Strafverfolgung steigt. Hinzu kommt, dass auf Kryptomärkten anstelle des interpersonellen ein Institutionen-basiertes Vertrauen hergestellt wird, etwa durch Feedback- oder Bezahlsysteme. Wie in modernen kapitalistischen Ökonomien tragen diese Entwicklungen sowie die orts- und zeitunabhängige Verfügbarkeit von illegalen Waren zu einer Ausweitung von Marktbeziehungen bei und fordern gleichzeitig globale Prohibitionsregime heraus.

Digitalisation of Illegal Markets: Consequences, Limitations and Perspectives

The contribution examines socio-economic changes in drug markets due to the spreading of digital technologies. The focus is primarily on the novel phenomenon of cryptomarkets. Through the use of anonymisation software, actors can increase their visibility on online platforms without a corresponding risk increase of encountering law enforcement. Additionally, on cryptomarkets, the trust is being established based on institutions rather than interpersonal relationships, which is achieved through review and payment systems. Similar to modern capitalist economies, these developments, along with the location-independent and time-independent availability of illegal goods, contribute to an expansion of market relationships, while simultaneously challenging global prohibition regimes for online platforms.

Christoph Clar / Ines Omann / Patrick Scherhaufer

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Der österreichische Klimarat – ein Beitrag zur Weiterentwicklung von Demokratie und Politik?

Zu Beginn des Artikels geben wir einen vertiefenden Einblick in die Rolle und Funktion von Partizipation innerhalb der sozial-ökologischen Transformation. Dabei liegt der Fokus auf Argumenten, die eine bessere Entscheidungsfindung versprechen – im Sinne von mehr Transparenz, Repräsentativität, Legitimität und Akzeptanz von politischen Prozessen. Nach Darstellung der Struktur und Organisation des österreichischen Klimarats gehen wir auf die damit zusammenhängenden Erwartungen, den Prozess selbst sowie die Resultate ein. Anschließend wird das Framing des Prozesses in öffentlichen Debatten, Medienberichterstattung und politischen Auseinandersetzungen analysiert. Zudem thematisieren wir, welche politischen Wirkungen nach dem offiziellen Ende des Klimarats zu beobachten sind. Auf Basis dieser Analyse ziehen wir erste Schlussfolgerungen und stellen Hypothesen zur Diskussion, die für die kritische Reflexion und Weiterentwicklung partizipativer Instrumente in demokratischen Systemen relevant sind.

The Austrian Climate Assembly – a Contribution for the Further Development of Democracy and Politics?

At the beginning of the article we provide an in-depth insight into role and function of participation within the socio-ecological transformation. The focus is on arguments that promise a better decision-making – in terms of more transparency, representativeness, legitimacy and acceptance of political processes. Following an outline of structure and organisation of the Austrian Climate Citizens‘ Assembly, we address related expectations, the process design and output. Then we analyse the framing of the process in public debates, media coverage and political disputes. In addition, we discuss potential impacts after the official end of the Climate Assembly. Based on this analysis, we draw initial conclusions and present hypotheses that are relevant for the critical reflection and further development of participatory instruments in democratic systems.

Alexander Seymer / Dimitri Prandner

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Über die Veränderungen der österreichischen Umfrageforschung während der Covid-19-Pandemie – Reflexion über die Rolle sozialer Surveys

Die Anzahl allgemeiner Bevölkerungsumfragen in Österreich hat seit den 1980er-Jahren kontinuierlich zugenommen und eine Dauerbeobachtung der Wette, Einstellungen und sozialen Struktur der österreichischen Wohnbevölkerung ermöglicht. Der Beitrag geht der Frage nach, wie sich diese Umfragen in den letzten vierzig Jahren verändert haben, welche methodischen Anpassungen während der Covid-19-Krise notwendig waren und wie sie von den Forschenden wichtiger österreichischer Umfrageprogramme, u. a. dem European Social Survey, dem Sozialen Survey Österreich und der European Values Study, umgesetzt wurden. Es zeigt sich, dass in den letzten Jahren eine teilweise Abkehr von etablierten Standards wie der Zufallsstichprobe und dem persönlichen Interview stattgefunden hat, aber kein einheitliches Vorgehen erkennbar ist. Ein neuer Standard für allgemeine Bevölkerungsumfragen ist aktuell nicht zu identifizieren.

Changes in Austrian Survey Research during the Covid-19 Pandemic – Reflection on the Role of Social Surveys

The quantity of general population surveys in Austria has steadily increased since the 1980s, allowing for a continuous observation of values, attitudes and social structure of the Austrian resident population. This contribution explores how these surveys changed over the past forty years, which methodological adjustments were necessary during the Covid-19 crisis, and how they were implemented by researchers of these so crucially important Austrian survey programs, including the European Social Survey, the Social Survey Austria, and the European Values Study. It can be seen that, in recent years, there has been a partial departure from established standards, such as random sampling and personal interviews, but no uniform current approach is apparent. Thus, a new standard for general population surveys cannot be identified.