Heft 2 / 2016: "offenes Heft"

Peter Filzmaier / Flooh Perlot / Martina Zandonella

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Das Wahljahr 2015

2015 wählten das Burgenland, die Steiermark, Oberösterreich und Wien neue Landtage. Über die regionalen Besonderheiten hinweg lassen sich allgemeine Trends finden: So verloren vor allem SPÖ und ÖVP in unterschiedlichem Ausmaß Stimmen, während insbesondere die FPÖ zulegte und in allen vier Bundesländern ihr bestes Ergebnis in der Zweiten Republik erreichte. Thematisch waren vor allem die Wahlen in Oberösterreich und Wien vom Flüchtlingsthema bestimmt, die Wahl in der Steiermark wurde zudem zu einer Entscheidung über die so genannte Reformpartnerschaft im Bundesland stilisiert. Der Artikel zeichnet eine kurze Chronik des Wahljahres, stellt die wesentlichen Befunde der Wahlforschung dar und versucht diese in einen längerfristigen Kontext einzuordnen.

The Election Year 2015 

In 2015, state parliaments were elected in Burgenland, Styria, Upper Austria, and Vienna. Aside from regional considerations and ramifications, some general trends could be found. Primarily, the Social Democratic Party and the People’s Party lost votes across all four states, whereas the Freedom Party reached their best results since the end of World War II. The elections, in early summer, were mostly characterized by internal and regional policies, the Styrian election, for example, was declared as a decision on the so called reform partnership. In autumn, the elections in Upper Austria and Vienna stood in a completely different light, as the ongoing arrival of refugees reached its peak. This article gives a chronicle overview of the election year 2015, includes substantial results of election research and focuses on integrating them into a longer-term context. 

Michael Parzer / Irene Rieder / Franz Astleithner

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»Da glaubt man ja, man ist in Istanbul.« Fremdheitserfahrungen und symbolische Grenzziehungen im migrantischen Lebensmittelhandel

Der Beitrag widmet sich Fremdheitserfahrungen einheimischer KundInnen in migrantischen Lebensmittelgeschäften in Wien. Anhand von 31 leitfadengestützten Interviews mit österreichischen KundInnen ohne Migrationshintergrund und 15 Go-Alongs (Begleitungen von KundInnen bei ihrem Einkauf) untersuchen wir, wie Fremdheit thematisiert, erlebt und wahrgenommen wird und wie diese Fremdheitserfahrungen im Zusammenhang mit symbolischen Grenzziehungen zwischen Mehrheit und Minderheit(en) stehen. Als relevant erweist sich dieses Thema vor dem Hintergrund aktueller politischer und wissenschaftlicher Debatten um das Integrationspotenzial migrantischer Ökonomien. Insbesondere Geschäfte und Restaurants gelten als interethnische Kontaktzonen, die den Abbau von Vorurteilen fördern und zu mehr Aufgeschlossenheit und Offenheit gegenüber »fremden« Kulturen beitragen. In unserem Artikel beschreiben wir vier Modi der Fremdheitserfahrung, die wiederum mit unterschiedlichen Arten symbolischer Grenzen korrespondieren. Während die bedrohliche Fremdheit sowie die vergnügliche Fremdheit mit einer Verfestigung von Grenzen zwischen »dem Eigenen« und »dem Fremden« einhergehen, zeigt sich bei der verunsichernden Fremdheit eine Perforation und bei der alltäglichen Fremdheit eine Verwischung von symbolischen Grenzen.

»You think you’re in Istanbul.« Experiences of Foreignness and Symbolic Boundaries in Immigrant Food Retail

This article focuses on how non-migrant consumers experience foreignness in immigrant grocery stores in Vienna. Based on qualitative research, including 31 semi-structured interviews and 15 go-alongs, we examined how native customers experience and perceive foreignness and how these experiences are related to symbolic boundaries between the majority and minorities. This issue proves to be highly relevant against the background of political and sciences-based debates on the potentials of immigrant businesses as drivers for integration. Shops and restaurants are considered to be interethnic contact zones, which should reduce prejudices and lead to more tolerance and openness towards foreign cultures. In this article, we describe four different modes of how foreignness is experienced by non-migrant customers. Each mode is related to a particular kind of boundary. Threatening foreignness as well as pleasurable foreignness tend to strengthen boundaries between »us« and »them«, while unsettling foreignness might lead to perforation and ordinary foreignness might lead to a blurring of symbolic boundaries.

Erich Mohl / Stefan Illedits

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Lehre mit Matura – Ein Erfolgsmodell in Österreich? Barrieren, Hindernisse und Hürden auf dem Weg zur Berufsreifeprüfung

Der vorliegende Artikel befasst sich mit Lehre mit Matura, einer ausschließlich auf Lehrlinge beschränkten Form der Berufsreifeprüfung. Anhand problemzentrierter Interviews wurden sowohl Lehrlinge als auch Lehrkräfte, die in dieser Ausbildungsform unterrichten, über (a) Unterstützungsmaßnahmen von Firmen, Schulen und Eltern, (b) die Bewältigung der Mehrfachbelastung, (c) den Umgang mit Lernschwierigkeiten/ -schwächen, (d) die Motive, eine Lehre mit Matura zu absolvieren, sowie (e) über erwünschte Systemverbesserungen befragt. Die Ergebnisse zeigen einen Reformbedarf auf, da trotz hoher staatlicher Fördermittel (6.000 €/ Lehrling) und hoher Teilnehmer/innenzahlen (2015: 11.000) vergleichsweise wenige Lehrlinge (2008–2014: 3.200) eine Lehre mit Matura abschlossen. Dieser Bedarf besteht aufgrund differierender Organisationskonzepte, oftmals mangelnder Kooperation und Organisationsfähigkeit der Akteure (Betriebe, Berufsschule, Trägerorganisationen), zu geringer Ausbildungsstunden, aber auch durch erhöhten Coaching-Bedarf.

Apprenticeships with Matriculation – A Successful Model for Austria? Barriers, Obstructions and Obstacles on the Way to the Vocational Matriculation Examination

The presented article deals with apprenticeships with matriculation, a limited form of the vocational matriculation examination exclusively for apprentices. Based on problem-centered interviews, a sample of teachers, who teach in this type of vocational training, as well as apprentices are being surveyed about (a) support measures for businesses, schools and parents; (b) overcoming multiple exposures; (c) how to handle learning difficulties & disabilities; (d) their motives to complete an apprenticeship with matriculation; and (e) required system improvements. The results show a need for reform, because despite high public investments (6.000 €/ apprentice) and a high number of participants (2015: 11.000), there is only a comparatively small number of successful apprentices (2008–2014: 3.200). This need for reform exists because of varying organisational concepts, frequently lacking cooperation and organisational capacity of the stakeholders (businesses, vocational college, host organisations), an insufficient number of training hours, and an increasing demand for coaching.

Marc Bittner / Michaela Hudler-Seitzberger

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»Verlorene Sicherheit« – Subjektives Sicherheitsempfinden als Schlüsselindikator für Wohlfahrt und sozialen Fortschritt

Im Rahmen des gegenständlichen Beitrags werden das subjektive Sicherheitsempfinden bzw. der subjektiv empfundene Sicherheitsverlust als Determinante der Lebensqualität wissenschaftlichen Untersuchungen unterzogen. Damit wird ein Beitrag zur Verbesserung der Indikatoren- und Datenlage im Bereich der Sozialberichterstattung und Wohlfahrtsforschung geleistet und es werden zuverlässige Kennziffern für subjektiv empfundene Unsicherheit bzw. Sicherheit entwickelt. Die Ergebnisse zeigen u. a., dass generell die aktuell empfundene Sicherheit in allen abgefragten Bereichen geringer eingestuft wird als noch vor der Finanz- und Wirtschaftskrise, jedoch noch bei weitem besser als die künftig erwartete Absicherung. Dass der subjektiv empfundene Sicherheitsverlust in bestimmten Bereichen die Lebensqualität determiniert, ist ein weiteres wichtiges Ergebnis.

»Lost Security« – Subjective Perception of Security as a Key Indicator of Welfare and Social Progress

In this article, the subjective perception of security and the subjectively perceived loss of security as a determinant of the quality of life, are being investigated more carefully. This provides a contribution for improving databases and indicators focusing on social reporting and welfare research. The results show, amongst others, that (generally speaking) the currently perceived security in all investigated areas is rated lower than before the financial and economic crisis, but is by far still better than the expected security in the approaching future. That the subjectively perceived loss of security determines in certain areas quality of life, represents another important result.

Ina Wilczewska / Zoltan Peter

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Toleranzkompass Jugendliche. Eine empirische Untersuchung von Toleranzeinstellungen

Ziel des Gesamtprojekts ist es, das Ausmaß der Toleranzeinstellungen sowie das Ausmaß der Vorurteile und des Fundamentalismus von in Wien lebenden Jugendlichen umfassend zu erforschen und in Kenntnis dieser Einstellungen wirksame Integrationsmaßnahmen zu erarbeiten. Die vorgestellte Studie versteht sich als erster Baustein eines für drei Jahre geplanten Projekts. Wir haben anhand einer empirischen Fragebogenerhebung Schüler und Schülerinnen eines Gymnasiums im Hinblick auf ihre Toleranzeinstellungen, ihren Fundamentalismus und ihre Vorurteile untersucht. Eine Bevorzugung der liberalen, begrenzten modernen Toleranz auf der einen und eine relativ klare Zurückweisung der wertkonservativen Toleranz, des Leitkulturansatzes, auf der anderen Seite sind für diese Schule typisch. Eine geringe Minderheit tendiert allerdings zur Intoleranz und es gibt auch fünf SchülerInnen, die in hohem Maß vorurteilsvoll und fundamentalistisch gestimmt sind.

Compass of Tolerance in Young People. An Empirical Study of Tolerance Attitudes 

The overall project goal is to explore levels of tolerance as well as levels of prejudice and
fundamentalism among young people living in Vienna, and to devise effective integration measures
on the basis of such insights. The study, presented here, is the first module of a three-year-project.
We administered a questionnaire for male and female secondary school students, in order to
research their levels of tolerance, fundamentalism and prejudice. For this particular school, what
we found out to be typical was a preference for liberal, limited and modern tolerance on the one
hand, and, on the other hand, a relatively marked rejection of a tolerance rooted in conservative
values, referencing to the so-called dominant culture approach being called the »Leitkultur«.
A small minority, however, tends towards intolerance, and there are five students who display
highly prejudiced and fundamentalist feelings.