Heft 1 / 2011: "Armut - aktuelle Entwicklungen"

Roland Verwiebe / Nina-Sophie Fritsch

Abstracts

Working poor: Trotz Einkommen kein Auskommen – Trend- und Strukturanalysen für Österreich im europäischen Kontext

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema working poor – Armut trotz Erwerbstätigkeit. Dazu werden in einem ersten Schritt aktuelle Entwicklungen für Österreich im Kontext europäischer Trends betrachtet. Dabei wird der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert Unterschiede in den wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen für die Ausprägung von working poor haben. In einem zweiten Schritt werden detaillierte empirische Analysen der Lebenssituation von
in Armut lebenden Erwerbstätigen in Österreich vorgestellt. Die entsprechenden Berechnungen beruhen auf den EU-SILC-Daten für die Jahre ‹‹Œ2004 bis 2008‹‹Ž. Unsere Befunde zeigen, dass Frauen, AlleinerzieherInnen und kinderreiche Familien, aber auch Beschäftigte in der Landwirtschaft und in personenbezogenen Dienstleistungen von Armut trotz Erwerbstätigkeit besonders betroffen sind. Darüber hinaus zeigt unsere Studie, dass die Armutsrisiken innerhalb des Untersuchungszeitraums für diese Personengruppen deutlich zunehmen.

Working Poor: An Analysis of Austrian Trends in the European Context

The article analyses the situation of the working poor in Austria in context of the European social welfare states. Firstly, it is being investigated to which extent the social welfare regulations are responsible for differences in the quantity of the poor in the labor force. Secondly, the article presents an overview of the working poor in Austria, based on EU-SILC data for the years 2004-2008. Our results show that women, single parents and families with three or more children as well as employees in the agrarian and service sectors are confronted with higher risks to fall into the category of working poor. Moreover, our study reveals that these risks increased considerably over the examined time period.

Florian Fliegner

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Armut und materielle Not im Vergleich der EU-Mitgliedstaaten

Armut wird in der offiziellen Statistik der Europäischen Union anhand nationaler relativer Armutsquoten gemessen. Doch ob diese Definition von Armut hinreichend ist, um Handlungsempfehlungen hinsichtlich der Angleichung der Lebensumstände in Europa zu treffen, erscheint fraglich. Auf Basis des European Quality of Life Survey der Jahre 2003 und 2007 werden die Lebensumstände des unteren Drittels der Einkommensverteilung untersucht. Es zeigt sich, dass die soziale Kohäsion zwischen den Ländern seit der Erweiterung im Jahr 2004 zwar vorangeschritten ist, jedoch die Polarisierungstendenzen zwischen den oberen und unteren Einkommensschichten innerhalb der meisten Länder gleichfalls zugenommen haben.

Poverty and Material Deprivation in the Member States of the EU

In the official statistics of the European Union, poverty still is being measured on the basis of the national relative poverty rates. However, it is highly questionable whether this definition is applicable to policy recommendations concerning the adjustment of living conditions in Europe. Based on the European Quality of Life Survey of 2003 and 2007, this article investigates the living conditions of the bottomthird of the income distribution. It can be shown that there is now
considerably more social cohesion between the EU member states since the enlargement in 2004. However, polarization within the societies, particularly between the upper and the bottom echelons, also has increased.

Karin Heitzmann

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Die Politik gegen Armut und soziale Ausgrenzung in der Europäischen Union und ihre Relevanz für Österreich

2010 war das »Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung«. In diesem Beitrag werden zunächst die europäische Armutspolitik – und insbesondere das letzte Jahrzehnt – beschrieben und die Stärken sowie Schwächen der europäischen Armutspolitik herausgearbeitet. Zudem wird analysiert, welche Relevanz die europäische Armutsstrategie für die österreichische Armutsberichterstattung sowie die österreichische Armutspolitik hatte. Die  Einschätzungen für die österreichische Armutspolitik fallen ernüchternd aus: Zwar werden Fortschritte in der Berichterstattung und eine Belebung des Armutsdiskurses in Österreich diagnostiziert, die sich auf die europäische Armutsstrategie zurückführen lassen; der Einfluss der europäischen Strategie auf politische Veränderungen wird hingegen als marginal angesehen.

Policies against Poverty and Social Exclusion in the European Union and their Relevance for Austria

2010 was the »European Year for Combating Poverty and Social Exclusion«. This article describes, first, the European policies against poverty and social exclusion, their strengths and weaknesses. Second, the relevance of the European strategy for Austria, concerning the reporting on poverty as well as the policies combating poverty and social exclusion, are being evaluated. The outcome is more than moderate. Even though there has been some progress concerning the reporting and
discourse on poverty in Austria, the European strategy induced almost no changes in Austrian policies.

Birgit Buchinger

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Zur sozialen Lage und Armutsgefährdung von niedrigverdienenden Beschäftigten im Bundesland Salzburg

Dieser Beitrag fasst die wesentlichsten Ergebnisse einer Studie zur Lage von niedrigverdienenden Beschäftigten im Bundesland Salzburg zusammen. Neben einer Strukturanalyse aller im Jahr  ­­2007 bei der Salzburger Gebietskrankenkasse gemeldeten Beschäftigungsverhältnisse bis zu einem Monatseinkommen von 1.500­­,- Euro brutto wurden eine Repräsentativbefragung niedrigverdienender Personen sowie Tiefeninterviews durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchung sind auch von politischer Relevanz: Der Niedriglohnsektor im Bundesland Salzburg umfasst – abhängig von einer je weiteren oder engeren Definition – zwischen 20­ und 50 Prozent aller unselbständig Beschäftigten. Es geht also nicht um Randgruppen oder Niedrigqualifizierte, sondern um die Mitte der Gesellschaft.

Social Situation and Risk of Poverty of Low-Incomers in the Province of Salzburg

This article summarizes a study on the social conditions of low-incomers in the province of Salzburg. In addition to a structural analysis of all employments with a maximum monthly gross income of Euro 1,500­ that were reported to the »Salzburger Gebietskrankenkasse« in 2007, a representative survey of low-incomers was carried out on the basis of telephone interviews. Finally, in-depth interviews with ten persons were completed. The results are also relevant for the political level: in Salzburg – depending on the definition of the term of »low-incomers« – between 20­ and 50­ percent of all employees are so-called low-incomers. These figures show that this does not only represent a marginal phenomenon, but is an issue that concerns mainstream society.

Gunter Graf

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Der Fähigkeitenansatz als neue Grundlage der Armutsforschung?

In diesem Beitrag wird der sogenannte »Fähigkeitenansatz«, der seit einiger Zeit in der Armutsforschung Beachtung findet, näher beleuchtet. Er wird gegenüber anderen Konzepten der Sozialethik abgegrenzt und vor allem anhand der Arbeiten der beiden führenden TheoretikerInnen – Amartya Sen und Martha Nussbaum – erörtert. Dabei zeigt sich, dass einige Punkte – in erster Linie solche, die mit Wertfragen zu tun haben –, innerhalb des Fähigkeitenansatzes umstritten sind, was sich in einer erheblichen internen Pluralität niederschlägt. Das wiederum hat zur Folge, dass der Fähigkeitenansatz mit verschiedenen Armutsbegriffen vereinbar ist und keine endgültigen Richtlinien zur Erforschung von Armut vorgibt. Trotz dieser Unbestimmtheit des Ansatzes lässt sich zeigen, dass einige seiner zentralen Einsichten gewinnbringend auf Fragestellungen der Armutsforschung angewendet werden können.

The Capability Approach as a New Basis for Poverty Research?

This contribution examines the so called »capability approach«, which has been now of considerable importance for poverty research for several years. References and non-references to other concepts of social ethics are discussed and the main characteristics are described based on the work of Amartya Sen and Martha Nussbaum, the two leading theoreticians in this field. It is shown that some elements of the capability approach – especially those connected to value questions – are contested, therefore, a substantial plurality within this approach can be found. As a consequence, the capability approach is compatible with other concepts of poverty and does not recommend definite guidelines for the further research on poverty. Even though this approach appears to be underdetermined, some of its core insights may be applied productively to questions on poverty research.