Heft 1 / 2003: "offenes Heft"

Ernst Gehmacher / Erika Svoma

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Das Experiment Pöttsching. Evaluierung von Gemeinschaftserziehung im Kinderdorf – 30 Jahre danach

Vor dreißig Jahren endete in Pöttsching das Projekt einer „dörflichen“ Gemeinschaftserziehung überdurchschnittlich intelligenter Kinder aus den damaligen unteren Sozialschichten. Zu einem sozialwissenschaftlichen Experiment wurde das Begabungsförderungs-Kinderdorf Pöttsching allerdings erst durch die langzeitliche Evaluierung, durch das Aufspüren und Nachverfolgen der Lebenswege ehemaliger Kinderdorf-BewohnerInnen, der „Alt-Pöttschinger“. Die in diesem Aufsatz zusammengefasste Studie bestärkt die Hypothese, dass Gemeinschaftserziehung und -erlebnisse von Jugendlichen soziale Kompetenz fördern und formen. Die Kinder von damals sind dreißig Jahre später nicht nur überdurchschnittlich sozial engagiert; sie sind auch psychisch gesünder und relativ glücklich. Um langfristige Wirkungen von Milieu und Erziehung genauer zu verstehen, bedarf es allerdings noch umfassender derartiger longitudinaler Lebenslaufstudien.

Dieter Bichlbauer / Irene M. Tazi-Preve

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Lebensform und familiale Einstellung. Ein empirischer Beitrag zur Pluralisierungsdiskussion

Seit den 60er-Jahren wird in der demographischen Forschung die so genannte „Pluralisierungsthese“ diskutiert. BefürworterInnen der Pluralisierungsthese argumentieren, dass neben der Ehe und der traditionellen Familie immer mehr andere Formen von Partnerschaft und Familie gewählt werden. GegnerInnen der Pluralisierungsthese vertreten die Auffassung, dass diese Entwicklung keine wirkliche Alternative zur Ehe und zur traditionellen Familie darstellt. Bei diesen Formen handle es sich vielmehr um relativ kurzfristige Übergangsphasen oder um unfreiwillige Notlagen. Die Pluralisierungsthese wird daher als realitätsfernes wissenschaftliches Konstrukt abgelehnt. Anhand der Daten des „Population Policy Acceptance Survey 2“ (PPA 2) wird die Gültigkeit folgender Thesen überprüft: Personen, die in einer außerehelichen Lebensform leben, müssten sich mit dieser identifizieren oder zumindest keine an die Ehe gebundene Lebensform anstreben. Weiters müssten diese Personen stärker nicht traditionale Lebensformen und deren Konsequenzen wie mehr uneheliche Kinder und mehr kinderlose Paare akzeptieren. Die Ergebnisse zeigen, dass – auch gegen das familienpolitische Festhalten am Modell Kleinfamilie – zunehmend neue Lebensformen bewusst gewählt und gesellschaftlich akzeptiert werden.

Georg Wiesinger

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Ursachen und Wirkungszusammenhänge der ländlichen Armut im Spannungsfeld des sozialen Wandels

Ländliche Armut unterscheidet sich aufgrund spezifischer Faktoren, Ursachen und Wirkungsweisen grundlegend von der städtischen Armut. In einem besonderen Maße für die Armutsgefährdung im ländlichen Raum verantwortlich erweisen sich u.a. folgende Faktoren: eine unzureichende individuelle Mobilität, Langzeitarbeitslosigkeit, geringe Erwerbschancen, eine ungünstige Wirtschaftsstruktur mit vielen Niedriglohnbranchen, ein schlechtes Angebot an kommunalem Wohnraum, eine unzureichende Altersversorgung bestimmter Berufsgruppen, mangelnde bis fehlende Bildungs-, Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, fehlende Gleichberechtigung der Frauen, schlechte Infrastruktureinrichtungen und nicht zuletzt die Angst vor Stigmatisierung aufgrund der fehlenden Anonymität. Die Bekämpfung der ländlichen Armut und sozialen Ausgrenzung setzt neben einem grundlegenden Verständnis der strukturellen Ursachen und Wirkungsweisen von Armut den Willen zur Implementierung geeigneter Maßnahmen voraus. Erst dann, wenn alle gesellschaftlichen Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsmechanismen beseitigt sind, kann es gelingen, ländliche Armut wirksam und nachhaltig zu beseitigen.

Max Haller / Christian Troy

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Umwelteinstellungen und Umweltverhalten im internationalen Vergleich

Um die Gründe für hohes Umweltbewusstsein und starkes Umwelthandeln näher zu analysieren, werden für diesen Artikel Daten aus dem International Social Survey Programme (ISSP) 2000–2001 über „Umwelteinstellungen im internationalen Vergleich“ ausgewertet. In 21 Staaten der Erde wurden ausführliche Fragen über Umweltbewusstsein (Wissen über Umwelt, Risikoeinschätzung, Pessimismus hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten, Opferbereitschaft) und eigenes umweltbewusstes Handeln gestellt. Der Beitrag geht von einem theoretischen Rahmen aus, der Umweltbewusstsein und  handeln als Resultat eines komplexen Zusammenspiels von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren interpretiert. Eine multivariate Mehrebenen-Analyse der Daten zeigt schließlich, dass das Umweltbewusstsein, individuelle Variablen wie Alter und Bildung, vor allem aber makrosoziale Rahmenbedingungen wie die politische Relevanz des Umweltthemas in einem Land als wesentliche Bestimmungsfaktoren einer Handlungsbereitschaft in Bezug auf die Umwelt anzusehen sind. Abschließend wird auf die Folgen dieser Befunde für die Umweltpolitik und die weitere sozialwissenschaftliche Umweltforschung hingewiesen.

Franz Seifert

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Demokratietheoretische Überlegungen zum österreichischen Gentechnik-Konflikt

Der demokratietheoretische Stellenwert des österreichischen Gentechnik Konflikts wird kenntlich, betrachtet man ihn im Kontext der jungen Tradition ökologischer Protestbewegungen. Diese verändert das Verhältnis von politischem System und Öffentlichkeit. Im Gegensatz zum überkommenen Konkordanzmodell der Demokratie wird der Faktor Öffentlichkeit nun zum politisch effektiven Druckmittel. Zwar bricht dieses die Intransparenz des Konkordanzmodells auf, indes erzeugt die populistische Instrumentalisierung von Öffentlichkeit durch Protestbewegungen neue demokratietheoretische Ambivalenzen. Gegenwärtige Versuche, drohenden Legitimationskrisen mit „Diskurs“ zu begegnen, ändern an diesem Wandel politischer Kultur nichts und dürften für sich genommen wenig effektiv bleiben. Grund zur Skepsis liefern Überlegungen zur Handlungslogik neuer sozialer Bewegungen, der Interessenhintergrund von Diskursveranstaltungen und die Feststellung supranationaler Handlungsbeschränkungen. Zwei abschließende Anregungen zu weiteren Forschungsvorhaben beziehen die transnationale Dimension daher auch verstärkt ein.

Petra Grabner / Nicole Kronberger

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„ ... aber ich sage: ‚das was ich esse, das bin ich’, nicht?“ Widerstand gegen gentechnisch veränderte Nahrungsmittel im Kontext von Identitätsfragen

Anwendungen der Gentechnik in Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion treffen in Österreich auf eine breite Front des öffentlichen Widerstands. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit der Frage, inwiefern dieser Widerstand gegen die so genannte „grüne“ Gentechnik über Nutzen und Risikoabwägungen hinaus auch als Ausdruck regionaler und kultureller Identität verstanden werden kann. Basierend auf der Analyse von Diskussionen mit verschiedenen Gruppen der österreichischen Bevölkerung sowie von Dokumenten zu politischen und wirtschaftlichen Initiativen zeigt unser Beitrag, wie sich Bevölkerung und Initiativen auf eine gemeinsam geteilte Identitätskonstruktion beziehen: Österreich als qualitätsbewusstes Land, für dessen Selbstverständnis Tradition, Kleinteiligkeit und biologische Landwirtschaft von großer Bedeutung sind. Indem „grüne“ Gentechnik häufig mit Industrialisierung, Globalisierung und Amerikanisierung assoziiert wird, wird sie zur Bedrohung dieser lokalen Identität.