Heft 2 / 2005: "Identität und kulturelle Vielfalt"

Daniela Molzbichler

Abstracts

Kulturen in Konflikt? Vom Umgang mit Konflikten in interkulturellen Beziehungen

Kulturelle Unterschiede werden immer häufiger für Krisen, Konflikte und Kriege verantwortlich gemacht. Die dazugehörigen Erklärungsschemata weisen stets darauf hin, dass kulturelle und religiöse Differenzen die Hauptursache für Auseinandersetzungen sind. Dies schürt weltweit das Misstrauen gegenüber allem Fremden, produziert Angst, Wut und Ohnmacht. Um einerseits verschiedene Kulturen als Chance und nicht als Risiko zu begreifen und andererseits Misstrauen und Ohnmachtsgefühlen entgegenzuwirken, werden in diesem Artikel verschiedene Definitionen von und Theorien über Kultur vorgestellt. Dadurch soll die Substanz kultureller Konfliktpotenziale sichtbar gemacht werden, damit kulturelle Differenzen nicht mehr als gegeben und unveränderbar gelten. In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass die Beteiligten selbst aktiv Mitverantwortung bei einer interkulturellen Konfliktbehandlung oder bei der Gestaltung gemeinsamer Werte im Begegnungsraum der Kulturen übernehmen.

Reetta Toivanen

Abstracts

Das Paradox der Minderheitenrechte in Europa

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen, die in Minderheitenbewegungen aktiv sind, Kultur und andere Quellen von Identität definieren müssen, um diese als politische Ressource nutzen zu können. Sie fordern Gleichberechtigung für Gruppen, die in einer Gesellschaft kulturelle, soziale und wirtschaftliche Nachteile erleben. Es wird dargestellt, dass jene Minderheiten, die sich selbst als homogene Einheiten mit eigener Sprache und Kultur und mit eigenständigen, über Generationen erhaltenen Traditionen beschreiben, die besten Chancen haben, von Staaten und internationalen Organisationen als echte Minderheiten anerkannt zu werden. Das Paradox der Minderheitenrechte soll genau dieses Phänomen beleuchten: Um als echte Minderheit anerkannt zu werden, ahmen die MinderheitenaktivistInnen die in internationalen Minderheitenrechtsinstrumenten festgelegten Normen und Kriterien für Minderheitenrechte nach. Eine Minderheit, die Kultur gemäß einem modernen Verständnis als etwas begreift, das ständigem Wandel unterliegt und auch Unterschiede unter den Mitgliedern der Gruppe betont, hat keine oder geringe Chancen auf Minderheitenschutz und Förderung. Das Rechtsparadox resultiert daraus, dass die Minderheitenschutzinstrumente nicht nur die Kultur und Identität von Minderheiten schützen, sondern auch mit definieren, was schutzwürdig ist.

Paul Scheibelhofer

Abstracts

Zwischen zwei ... Männlichkeiten? Identitätskonstruktionen junger Männer mit türkischem Migrationshintergrund in Wien

Diskurse über die Identität von Kindern von MigrantInnen konzentrieren sich meist auf die Probleme, die diese Jugendlichen haben oder machen. Dieser Fokus verschärft sich, wenn sie von der Situation junger Männer mit türkischem Migrationshintergrund handeln. Ihnen wird nicht nur attestiert, mit größerer Wahrscheinlichkeit Identitätsprobleme zu haben, sie werden überdies als patriarchal und rückwärtsgewandt eingeschätzt. Der Artikel basiert auf einer empirischen Studie, die 2004 in Wien durchgeführt und verfasst wurde. Auf eine kurze Darstellung der etablierten und neueren Paradigmen im Bereich der soziologischen Migrations- und Männlichkeitsforschung folgt die Analyse von drei Fallgeschichten. Die Männlichkeitskonstruktionen, die wir hier finden, sind komplex und eigenwillig. Doch lassen sich Verzahnungen zwischen Aspekten ethnischer und männlicher Selbstbilder beschreiben.

Michael Parzer

Abstracts

Alles beliebig? Zur identitätsstiftenden Praxis jugendkultureller Stilisierung in der Skaterszene 

Angesichts zunehmender Pluralisierung und Heterogenität jugendkultureller Stile zu Beginn des 21. Jahrhunderts beschäftigt sich der Beitrag mit Prozessen der Identitätsstiftung in Jugendszenen. Theoretischer Ausgangspunkt ist die Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Positionen der Jugendkulturforschung: Die Subkulturtheorie der britischen Cultural Studies sieht Jugendkulturen als kohärente Gebilde, dagegen diagnostizieren postmoderne Ansätze eine zunehmende Beliebigkeit jugendkultureller Stilisierung. Dabei bleibt die Frage ungeklärt, wie kollektive Sinnstiftung überhaupt möglich ist. Am Beispiel der Skaterszene wird gezeigt, wie innerhalb einer postmodernen Jugendszene mit der wachsenden Vielfalt jugendkultureller Angebote umgegangen wird und welche Folgen sich daraus für die Identitätsstiftung ergeben. Die Ergebnisse einer im Sommer 2003 durchgeführten qualitativen Untersuchung geben Aufschluss über jene Mechanismen, die in einem gemeinsamen Erfahrungsraum der Jugendlichen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen lassen und eine Orientierung in einer immer unüberschaubareren jugendkulturellen Landschaft gewährleisten.

Simon Kravagna

Abstracts

Schwarze Stereotype und weiße Behörden. Afrikaner, Drogenkriminalität und Strafverfolgung durch Polizei und Justiz

Der Artikel untersucht am Beispiel schwarzer Drogendealer, ob und inwiefern Afrikaner in Wien in der Strafverfolgung durch Polizei und Justiz aufgrund ihrer ethnischen Identität einer selektiven Behandlung unterzogen werden. Die vorliegende Analyse von 83 Gerichtsurteilen, die am Straflandesgericht Wien erhoben wurden, zeigt, dass Schwarze zu signifikant höheren Haftstrafen verurteilt werden als Weiße. Die Detailanalysen dieser Arbeit weisen darauf hin, dass die Strafunterschiede nicht zur Gänze durch strafrelevante Faktoren wie etwa höhere Drogenumsätze durch schwarze Drogenhändler zu erklären sind. Zudem problematisiert der Artikel die Zurechnung vieler schwarzer Dealer durch Polizei und Justiz zur so genannten »nigerianischen Drogenmafia« sowie die selektive Anwendung von besonderen Ermittlungsmethoden gegenüber Afrikanern.