Heft 1 / 2012: "Bourdieu - eine aktuelle Auseinandersetzung" (SOLD OUT)

Otto Penz

Abstracts

Schönheitshandeln und symbolische Gewalt im Post-Fordismus

Der Aufsatz diskutiert die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und Klassen, die sich im Schönheitshandeln westlicher Gesellschaften zeigen. Mit Hilfe qualitativer empirischer Daten werden die subjektiven Schönheitseinstellungen und die Verschönerungspraktiken von Frauen und Männern aus unterschiedlichen Lebenslagen rekonstruiert und zueinander in Beziehung gesetzt, wobei z. B. ersichtlich wird, dass die klassenspezifischen Unterschiede innerhalb einer Genusgruppe mitunter größer sind als die geschlechtsspezifischen Differenzen. Pierre Bourdieus praxeologische Theorie liegt der Studie insgesamt zugrunde. Im Speziellen dient seine Konzeption der »symbolischen Gewalt« dazu, die fortwährende männliche Herrschaft, die sich in den Schönheitspraxen manifestiert, und die Neuordnung dieser Machtbeziehung im Post-Fordismus zu erklären.

Beauty Practices and Symbolic Violence in the Post-fordist Era

The article is based on Pierre Bourdieu’s theory of practice and applies his concept of »symbolic violence« to discuss the power relations and male dominance in beauty practices. The findings are derived from qualitative research data, conducted through interviews, which show typical class and gender differences of beauty attitudes and beautification methods in contemporary Western societies. One surprising result of the empirical research is that the class differences within one
gender category exceed the gender differences in some cases. However, the overall conclusion of the article points to persistent patriarchal power relations – that are represented and constituted in the process of beautification – and to the reconfiguration of symbolic violence since the Fordist era.

Dominik Gruber / Martin Böhm

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Pierre Bourdieus Soziologie: Ein Wegweiser für die Sozialpsychiatrie?

Psychische Erkrankungen nehmen in ihrer gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Bedeutung zu. Dies impliziert einen verstärkten Bedarf an sozialpsychiatrischer Forschung. Im vorliegenden Beitrag wird geprüft, ob die Soziologie Pierre Bourdieus als theoretische Fundierung sozialpsychiatrischer Fragestellungen herangezogen werden kann. Die Integration theoretischer Überlegungen Bourdieus kann einerseits die fehlende Kooperation zwischen
Soziologie und Sozialpsychiatrie (wieder-) beleben. Andererseits lässt der Ansatz Bourdieus genügend Raum für Erkenntnisse der »traditionellen«, medizinisch-biologisch orientierten Psychiatrie. Trotzdem erlaubt diese Herangehensweise der Sozialpsychiatrie, ihr (gesellschafts-) kritisches Potenzial zu bewahren. Es sind v. a. die Begriffe »Habitus« und »Kapital«, die eine zentrale Rolle in der zukünftigen Theoriebildung der Sozialpsychiatrie spielen könnten.

The Sociology of Pierre Bourdieu: a Guide for Social Psychiatry?

Mental health and illness are issues that are increasingly in relevance for society and impacting the national economy. This development denotes the dire necessity for further research in the field of social psychiatry. The present article examines whether the sociology of Pierre Bourdieu can provide a theoretical foundation for social psychiatry and its multiple research questions. On the one hand, the integration of the theoretical aspects of Bourdieu’s sociology can improve the relationship between sociology and social psychiatry. On the other hand, the considerations of Bourdieu can be associated with the findings and concepts of "traditional", medical-biological psychiatry. However, Bourdieu’s approach does not jeopardize social psychiatry’s critical potential. It is presumed that the theoretical concepts of "habitus" and "capital" in particular are of great significance for future research in social psychiatry.

Veronika Schwediauer

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Rekrutierungsprozesse österreichischer Regierungsmitglieder im Geschlechtervergleich

In Rekrutierungsprozessen für politische Spitzenpositionen verdichten sich gesellschaftliche und politische Machtverhältnisse, in die vergeschlechtlichte Strukturen eingelegt sind. Durch eine geschlechtervergleichende Untersuchung von politischen Rekrutierungsprozessen können wichtige Schlüsse über die Ausgestaltung dieser vergeschlechtlichten Machtverhältnisse gezogen werden. Im bisherigen Literaturkorpus zu politischer Rekrutierung (und Geschlecht) fehlt die Perspektivierung von Macht. Bourdieus machtzentrierte Begriffskonzepte des Feldes und des Kapitals stellen wertvolle Werkzeuge dar, um in diese Lücke vorzustoßen und eine geschlechtervergleichende (Macht-) Analyse von Rekrutierungsprozessen zu leisten. In diesem Beitrag werden die verfügbaren Kapitalien und die politischen Karrierewege der österreichischen Regierungsmitglieder von 1966 bis 2006 sowie ihre geschlechtsspezifischen Effekte untersucht.

Recruitment Processes of Austrian Members of Government in a Gender Comparative Perspective

Political recruitment processes represent products of the societal and political power relations, which bear gendered structures. A gender-comparative analysis of political recruitment processes is apt to uncover these gendered power relations. A theoretical perspective on power is completely absent in the hitherto produced literature on political recruitment (and gender). Bourdieu’s power-centered concepts of field and capital are valuable tools to bridge this gap and to endeavor a
gender-comparative (power) analysis of recruitment processes. This article investigates the capital forms and the political careers of the Austrian members of government and their gender-specific effects from the time frame of 1966 to 2006.

Philipp Korom

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Der Aufstieg der Expertenintellektuellen. Eine kritische Auseinandersetzung mit Bourdieus Soziologie der Intellektuellen

Der Beitrag stellt eine neue Sozialfigur der Gegenwart vor: den Expertenintellektuellen. Bislang wurden in den Sozialwissenschaften Experten und Intellektuelle als grundsätzlich unterschiedliche Kategorien konzipiert. Jüngst ist jedoch eine Transformation des Intellektuellen zu beobachten, die ein Mischkonzept nahewlegt. Die vor allem an Universitäten und Think Tanks beheimateten Expertenintellektuellen verfügen einerseits über spezialisiertes Wissen, sehen jedoch andererseits
ihre Rolle mit politischer Verantwortung verbunden. Ihre öffentlichen Stellungnahmen zielen auf die Formung des Meinungsklimas ab, womit sie sich aus der Rolle des reinen Experten begeben. Um empirisch zu prüfen, inwiefern Expertenintellektuelle die klassischen Funktionen des Intellektuellen erfüllen, wird eine Inhaltsanalyse prominenter Gastkommentatoren des weltweit größten Zeitungssyndikats («Project Syndicate») durchgeführt. Die Ergebnisse legen nahe, dass der
neue Intellektuellentypus weder mit dem begrifflichen Instrumentarium Bourdieus noch mit jenem Foucaults ausreichend beschrieben werden kann. Ausgehend von der Analyse öffentlicher Interventionen wird daher eine Überarbeitung der vorhandenen Phänomenologien über den Intellektuellen angeregt.

The Rise of the Expert Intellectuals. A Critical Analysis of Bourdieu´s Sociology of Intellectuals

The contribution presents a new type of the intellectual: the expert intellectual. Up until now, experts and intellectuals were considered two distinct categories in the social sciences. Recently, however, we witness a transformation of the classical concept of the intellectual that can be analyzed only by using hybridization methods. Expert intellectuals, who typically work for universities or think tanks, possess specialized knowledge and envision their social role to be charged with political responsibility. They strive to fashion public opinion in their statements, which is unusual for pure experts. In order to empirically examine whether expert intellectuals fulfill some of the classical functions of the intellectual, I conduct a content analysis of op-eds written by the most prominent contributors for the world’s largest newspaper syndicate (»Project Syndicate«). All the results obtained indicate that the new type of intellectual cannot be sufficiently captured in the sociological terms suggested by Bourdieu or Foucault. Ergo, I conclude with a plea to extend the given phenomenologies of the intellectual on the basis of an empirical guided investigation into the styles of public interventions.

Jule-Marie Lorenzen/ Dariuš Zifonun

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Das Eigengewicht der Institutionen und die Zentralität der Laien: Anmerkungen zur Feldtheorie Pierre Bourdieus

Der Beitrag argumentiert, dass Pierre Bourdieus Soziologie sich jenseits der Unterscheidung zwischen Struktur- und Handlungstheorien im Spektrum der Alltagstheorien verorten lässt. Gezeigt wird, wie auf sozialtheoretischer Ebene insbesondere das Konzept »sozialer Felder« dazu dienen kann, die soziale Lebenswelt des Alltags als Ordnungszusammenhang zu verstehen, der durch ein starkes Eigengewicht feldspezifischer Institutionen geprägt ist. Mit Blick auf den gesellschaftstheoretischen Gehalt der Feldtheorie erweist sich das Feld der Hilfe als Testfall, anhand dessen eine Revision der allgemeinen Feldtheorie vorgeschlagen wird: Statt die Autonomie sozialer Felder über den Grad der Professionalisierung zu bestimmen, ist nach dem Beitrag von Laien zur Institutionalisierung der Felder zu fragen. Für die empirische Analyse erweist sich zudem eine Kombination mit Anselm Strauss’ Soziologie sozialer Welten als fruchtbar.

The Weight of Institutions and the Key Role of Lays: Considerations on Pierre Bourdieu‘s Field Theory

The article reasons that Pierre Bourdieu’s sociology lies beyond the differentiation of theories of structures and theories of action, and can instead fall within the spectrum of theories of everyday life. It will be illustrated, how especially the concept of »social fields« can meliorate the comprehension of the everyday life-world as a structural arrangement, which is highly structured by field-specific institutions. With regard to the socio-theoretical substance of field theory, we use the construct of the »field of help« in order to suggest a revision of field theory in general. Rather than determining autonomy of social fields along the degree of professionalization, we ask for lays’ impact on the institutionalization of fields. For the purpose of empirical analysis, the combination with Anselm Strauss’ sociology of social worlds has proven to be a fruitful extension.