Heft 1 / 2016: "Neoliberale Sozialpolitik und ihre Alternativen"

Karin Fischer

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Was ist Neoliberalismus? Geschichte, Grundüberzeugungen und Strategien des neoliberalen Denkkollektivs

Neoliberalismus ist ein oft gebrauchter Begriff, dem es vielfach an klarer Definition mangelt. Dieser Lücke begegnet der Beitrag durch eine theoriegeschichtliche Herangehensweise. Er rekonstruiert seine Gründungsgeschichte, die Stationen der Dominanzgewinnung und gibt Einblick in theoretische Ansätze. Auf dieser Grundlage werden die Charakteristika des Neoliberalismus als einer organisierten ideengeschichtlichen und politischen Bewegung herausgearbeitet. Ziel des Artikels ist es, zu einer klareren Begriffsverwendung und zur Unterscheidung zwischen Neoliberalismus und Liberalismus, die oftmals als synonym betrachtet werden, beizutragen. Im Ergebnis wird der Neoliberalismus als transnational vernetzte, interdisziplinäre Bewegung deutlich. Die VertreterInnen des Denkkollektivs formulieren eine Vielfalt an Lehrsätzen, die auf gemeinsam geteilten Grundüberzeugungen basieren und die weit über den Bereich der Wirtschaft hinausgehen. Der Beitrag schließt mit Überlegungen zur Überwindung neoliberaler Dominanz, für die uns die Entstehungsgeschichte möglicherweise Ansatzpunkte liefert.

What is Neoliberalism? History, Principled Beliefs and Strategies of the Neoliberal Thought Collective 

Neoliberalism is a much used, but also frequently misunderstood term. The author tackles this gap by applying a historical and theoretical approach. She reconstructs the history of neoliberalism, its historic steps in achieving dominance, and provides an insight into several theoretical approaches. On this basis, she concludes that neoliberalism is best understood as an organized ideological and political movement. The aim of the article is to contribute to a better understanding and to give a more precise definition of neoliberalism, including a clear distinction between liberalism and neoliberalism, which often are being considered to be the same. In the end, neoliberalism is characterized as a transnationally organized, interdisciplinary movement. The representatives of the neoliberal thought collective develop a range of doctrines that are based on shared norms and principled beliefs, undergirding a form of social rule that clearly extends economic governance. In her concluding remarks, the author reflects on strategies to overcome neoliberal dominance. The origins of the formation of the neoliberal thought collective might offer some further starting points in this respect.

Dominik Gruber

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Der Neoliberalismus und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Widersprüche und Unvereinbarkeiten

Im vorliegenden Artikel werden Theoriefragmente des Neoliberalismus mit Annahmen und Forderungen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung kontrastiert. In einem ersten Schritt werden Inhalte der UN-Konvention dargestellt. Danach wird der ­Neoliberalismus anhand seiner theoretischen und seiner politischen Dimension charakterisiert. Im letzten Teil des Beitrags werden sowohl auf philosophisch-theoretischer als auch auf strukturell-praktischer Ebene Widersprüche und Unvereinbarkeiten zwischen neoliberalen und menschenrechtsbezogenen Positionen herausgearbeitet. Besonderes Augenmerk wird auf die Sozialphilosophie Friedrich August von Hayeks und die zunehmende »Ökonomisierung« des sozialen Dienstleistungssektors gelegt. 

Neoliberalism and the UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities. Contradictions and Incoherencies

The article contrasts theoretical fragments of neoliberalism with assumptions of the UN ­Convention on Rights of Persons with Disabilities. First, some core content of the convention is being presented. After that I characterize neoliberalism in its theoretical as well as political dimensions. In the last section of the article, some philosophical and practical contradictions and incoherencies between positions of neoliberalism and the UN convention are furthermore reviewed in greater detail. Special attention refers to the social philosophy of Friedrich August von Hayek and the growing economization of social services.

Bettina Leibetseder

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Die Sozialinvestitionsperspektive der Europäischen Union – ein neoliberaler Wolf im keynesianischen Schafspelz?

Als Ausweg aus der neoliberalen Sozialpolitik der letzten Jahre wird die Sozialinvestitionsperspektive von internationalen und europäischen, politischen und akademischen Akteuren/innen forciert. Widersprüchlich sind aber die Konzeption des Ansatzes sowie die politischen Reformvorschläge. Der Beitrag geht der Frage nach, wie neoliberal die Sozialinvestitionsperspektive der Europäischen Kommission tatsächlich ist. Mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse und einer daran ­anschließenden diskursiven Auseinandersetzung wird das europäische Sozialinvestitionspaket hinsichtlich dessen politischer Handlungsvorschläge analysiert. Die konzeptionelle Zweideutigkeit schlägt sich auf die Dokumenteninhalte nieder, wo neben Privatisierung von staatlichen Aufgaben und stärkerer Arbeitsmarkteinbindung auch mindestsichernde Elemente und verbesserte ­Chancengleichheit gefordert werden. Forciert werden die Stärkung der europäischen Steuerungsmechanismen und die Implementierung von Ergebnisorientierung und Kontrollmechanismen auf nationalstaatlicher Ebene und damit New Public Management. 

The Social Investment Perspective of the European Union – a Neoliberal Fist in Keynesian Social Glove?

On European level, academics and politicians alike herald the social investment as panacea, which may counteract pure neo-liberal social policies. Some critics emphasized the contradictory notions of the concept and the reform proposals. This article considers the question, how neoliberal the social investment perspective of the European Commission is? We investigate at first the social investment package of the European Commission via a qualitative content analysis and then elaborate on core dimensions discursively. The conceptual ambiguity is clearly apparent in the content of the documents: certain costs should be shifted to the private realm with an emphasis on market integration; however, systems of social protection should provide a minimum support and recognize equal opportunity. The European level is expected to expand its steering capacities and to propose output management, control mechanisms and other New Public Management tools.

Stephan Pühringer / Christine Stelzer-Orthofer

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Neoliberale Think-Tanks als (neue) Akteure in österreichischen gesellschaftspolitischen Diskursen. Die Beispiele des Hayek-Instituts und der Agenda Austria

Im Zuge der ÖVP/ FPÖ-Regierung Anfang der 2000er-Jahre wurde in Österreich eine Reihe von Reformprogrammen initiiert, die auf einer dichotomen Vorstellung von Staat und Politik vs. Markt und privat beruhen. Während dieser Logik folgend erstere als ineffizient, unwirtschaftlich und statisch diskreditiert werden, werden letztere mit Attributen wie Effizienz, Freiheit oder Dynamik versehen. Nach dieser einschneidenden neoliberalen Wende in Österreich treten in den letzten Jahren vermehrt neoliberale Think-Tanks als Akteure in gesellschaftspolitischen Diskursen in Erscheinung. In diesem Artikel wird einerseits anhand einer sozialen Netzwerkanalyse zu institutionellen, personellen und strukturellen Verbindungen gezeigt, wie eng neoliberale Think-Tanks wie das Hayek-Institut und die Agenda Austria in bestehenden marktradikalen Netzwerken finanzkräftiger, privatwirtschaftlicher AkteurInnen und wirtschaftlicher Interessenvertretungen verankert sind. Andererseits wird auf Basis einer Diskursanalyse der Argumentationslinien in der Selbstpositionierung und medialen Resonanz dieser Akteure dargelegt, dass neoliberale Think-Tanks ein zunehmend wichtiger werdender Bestandteil einer »Diskurskoalition« (Hajer) zum Rückbau des Sozialstaats sind.

Neoliberal Think Tanks as (New) Actors in Austrian Socio-political Discourses. The Examples of the Hayek Institute and of Agenda Austria

During the early 2000s, the Austrian right wing conservative government under chancellor Schüssel initiated a number of neoliberal reforms, resting on the strict dichotomy of state and politics vs. markets and private enterprise. Whereas the former, in this conception, is characterized as inefficient, static and uneconomic, the latter is being euphemistically attributed with liberty, efficiency and dynamics. After this far-reaching neoliberal turn in Austria, also neoliberal think tanks have entered socio-political discourses in the recent years. In this article, applying a social network analysis, we demonstrate the close interconnections of think tanks, for example the Hayek Institute and Agenda Austria, with existing and radically market-oriented networks of economically potent actors and employers’ associations. Furthermore, we apply a discourse analysis framework that is focusing on documents of self-representation of think tanks and the media responses in opinion-leading newspapers, in order to show that neoliberal think tanks are increasingly becoming an integral part of a »discourse coalition« (Hajer) for the dismantling of welfare state in Austria.

Ruth Simsa

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Gesellschaftliche Folgen neoliberaler Sozialpolitik in Spanien. Ausprägungen und Antworten der Zivilgesellschaft

Im Artikel wird zunächst die gegenwärtige soziale und politische Situation in Spanien dargestellt. Das Land erlebt eine gravierende ökonomische, soziale und politische Krise, die durch die Finanzkrise ausgelöst und durch neoliberale Sparpolitik verstärkt wurde. Basierend auf Feldforschung in mehreren größeren spanischen Städten werden Reaktionen der Zivilgesellschaft auf diese Situation diskutiert. Im Jahr 2011 entwickelte sich eine landesweite Protestbewegung der Empörten (Indignados). Anders als in vielen Ländern, in denen sich KrisenverliererInnen rechtspopulistischen Strömungen zuwenden, kam es hier zu starken Solidarisierungseffekten und zu vielfältigen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, die von Protest und politischer Arbeit bis zu engmaschiger sozialer Hilfe und Unterstützung reichen. Die Bewegung hat sich auch institutionalisiert, regionale und nationale aus der Bewegung hervorgegangene Parteien haben zum Teil überraschende Erfolge erzielt. Gleichzeitig hat die etablierte Politik mittels Restriktion und gesetzlichen Einschränkungen der Bürgerrechte scharf auf diese Entwicklung reagiert. Ob die Bewegung dominante Strukturen der globalen Ökonomie und Politik ändern kann, bleibt abzuwarten.

Social Consequences of Neoliberal Social Policies in Spain. Characteristics and Answers of Civil Society

The article describes the current social and political situation in Spain. The severe economic and social crisis was caused (amongst other factors) by neoliberal economic and social policies and was furthermore worsened through austerity politics. Based on empirical research in Spanish cities, reactions of civil society to this development will be in focus of our analysis. Spanish civil society strengthened massively since the beginning of protest movements in 2011. In contrast to other countries, where we find declining solidarity and a rising popularity of extreme right-wing and nationalist parties, which provide simplistic answers for problems of society, we see in Spain a rise in solidarity and a movement that emphasizes nonviolent ways for an inclusive, sustainable and socially balanced development. Besides increased civil society activism and the formation of new initiatives, new movement-parties are emerging both at national and municipal levels. The Spanish government has responded with repression and a law on public security that implied severe restriction for civil rights in context of demonstrations and protest. It remains an open question, if these grass-roots movements will be able to change dominant structures of a global and neoliberal economy and politics.

Roland Atzmüller / Alban Knecht

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Neoliberale Transformation der österreichischen Beschäftigungspolitik für Jugendliche

Arbeitsmarkt- und ausbildungspolitische Aktivitäten für Jugendliche am Übergang von der Pflichtschule in den Beruf sind auch in Österreich zunehmend von neoliberalen Konzepten wohlfahrtsstaatlichen Umbaus geprägt. Der Umbau ist einerseits durch eine verstärkte ­Orientierung an aktivierenden Maßnahmen, andererseits durch den Ausbau sozialinvestiver Strategien ­gekennzeichnet, die als förderlich für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbs­fähigkeit gelten und insbesondere auf die »Erweiterung des Humankapitals« zielen. Der Artikel untersucht die damit verbundenen Ambivalenzen mittels einer detaillierten Analyse von ­ExpertInneninterviews. Die Sozialinvestitionsstrategie konstituiert eine neue Art des Regierens, die auf die Subjektivität von Jugendlichen zielt und sie zur eigenständigen Anpassung an den ­Wettbewerb drängt. Formen des Scheiterns, Abweichens und Verweigerns werden dagegen pathologisiert und dienen als Legitimation eines wachsenden Zugriffs auf Jugendliche, wie er exemplarisch durch die Einführung der Ausbildungspflicht realisiert wird. 

Neoliberal Transformation of Job Policy in Austria for Young People

Neoliberal conceptions about the transformation of the welfare state influence increasingly the activities on employment and vocational training policies for young people, who leave compulsory school and start to work. This implies an orientation toward activating measures and social investment strategies. Both focus on the »accumulation of human capital« and are expected to accelerate economic growth and competitiveness. Based on expert interviews, this article scrutinizes the ambivalences of such measures. The social investment strategy constitutes a new way in governance, which focuses on the subjectivity of youth, furthermore pushing them towards self-adaptation to a competitive world. Failure, deviation and disobedience are considered pathological and serve as legitimation for imposing even more rigid measures on young people, as the example, of making vocational training mandatory, shows exemplarily.