Ferdinand von Schirachs Theaterstück »Terror« und der darauf beruhende Film »Terror – Ihr Urteil« widmen sich auf provokante Art einem geradezu unerträglichen Dilemma: Ein von einem Terroristen gekapertes Flugzeug befindet sich im Anflug auf ein vollbesetztes Fußballstadion; eine Katastrophe scheint nur abwendbar, wenn das Flugzeug abgeschossen wird. Ist eine solche Handlung rechtlich legitimierbar? Nach Schirachs Inszenierung soll darüber das Publikum entscheiden. Der Artikel widmet sich den damit verbundenen Fragen an der Schnittstelle von Recht und Gerechtigkeit, Literatur und Populärkultur. Ausgehend von einer Skizze der damit angesprochenen Forschungsfelder richtet sich der Blick auf den Kampfpiloten, der den Abschuss befehlswidrig vorgenommen hat, und auf seinen Strafverteidiger, der in einem blendenden Plädoyer den Freispruch für seinen Mandanten fordert. Als Kontrast und zur Einbettung in einen größeren populärkulturellen Kontext werden zwei Protagonisten aus TV-Serien vorgestellt, die mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert waren: Lee »Apollo« Adama (»Battlestar Galactica«) und Jack Bauer (»24«). Von hier aus wird der Beitrag von Medieninszenierungen wie »Terror – Ihr Urteil« zu aktuellen Debatten über den Umgang mit terroristischen Bedrohungen hinterfragt.
Ferdinand von Schirach’s play »Terror« and the movie based upon it, »Terror – Ihr Urteil«, are dedicated provocatively to an all but unbearable dilemma: an airliner hijacked by a terrorist is approaching a fully occupied football stadium; a catastrophe can, it seems, only be prevented by shooting down the aircraft. Is such an action legally justifiable? According to Schirach’s staging, the audience shall decide. The article deals with the questions arising in this context at the interface of law and justice, literature and popular culture. Beginning with a sketch of the respective research areas, the focus is directed at the fighter pilot who is responsible to shoot down or not to shoot down the aircraft, contrary to orders, and his attorney, who demands his acquittal in a dazzling speech. For the sake of contrast and in order to embed the issue in a wider popular cultural context, the article then presents two protagonists from TV-series, who were confronted with similar challenges: Lee »Apollo« Adama (»Battlestar Galactica«) and Jack Bauer (»24«). Against this background the contribution of media enactions, such as »Terror – Ihr Urteil«, is being questioned in reference to current debates on dealing with terrorist threats.
Der Beitrag bietet eine ethische Analyse der Abläufe und Geschehnisse, die Ferdinand von Schirach im Buch »Terror. Ein Theaterstück und eine Rede« als ein tragisches Ereignis konstruiert. Schirach entwirft ein Szenario, in dem die Geiselnahme eines Flugzeugs durch Terroristen tragisch enden würde, da das Flugzeug in ein voll besetztes Stadion gelenkt und dort zum Abschuss gebracht werden soll. Lars Koch, ein Major der Luftwaffe, der Befehl erhält, das Flugzeug abzudrängen, entschließt sich zu seinem Abschuss und steht nun unter Anklage. Zunächst wird im Artikel die ethische Beurteilung anhand von klassischen Theorien der Ethik rekonstruiert. Danach wird in einem zweiten Durchgang erläutert, welche Dilemmata entstehen, sofern Kochs Handeln als dilemmatisch verstanden wird. Ziel des Beitrags ist es, schlüssige und gleichwohl einander widersprechende Beurteilungswege der ethischen Analyse mit Rücksicht auf die skizzierte Situation aufzuzeigen.
The contribution offers an ethical analysis of events that Ferdinand von Schirach constructs in his book »Terror. A Theatrical Performance and a Speech« as a tragic event. Schirach creates a scenario in which the hostage-taking of an aircraft by terrorists would end tragically, as the aircraft is to be steered to a stadium full of people, and to be crashed there. Lars Koch, a major of the air force, who received the command to intercept the aircraft and to divert it, decides to shoot it down and is now to be prosecuted. First, the ethical judgment is reconstructed on the basis of classical theories of ethics. Then, in a second approach, we will look more closely which dilemmas are to arise, provided Koch’s actions are understood as paradoxical. It is the overall goal of this contribution to examine conclusive, yet contradictory ways to reconstruct the ethical implications of the scenario.
Dieser Beitrag untersucht das Medienereignis »Terror – Ihr Urteil« der öffentlich-rechtlichen TV-Sender ARD, ORF und SRF aus film- und mediensoziologischer sowie gendertheoretischer Perspektive und setzt drei Schwerpunkte: den Film, die TV-Publikumsabstimmung zur Urteilsfindung der fiktiven Gerichtsverhandlung und die Einbettung des Medienereignisses in gesellschaftliche Diskurse. Rhetorisch-dramaturgische Strategien und ästhetische Stilmittel werden in ihrer vergeschlechtlichten Konzeptionalisierung als wesentliche Elemente der Unterhaltung, Emotionalisierung und Beeinflussung des Fernsehpublikums identifiziert. Die TV-Studiodiskussionen und das umfassende Medienevent werden kritisch in einen größeren diskursiven Kontext gesetzt. Es zeigt sich, dass »Terror – Ihr Urteil« in simple Medien- und Diskurspraktiken hegemonialer Männlichkeiten eingebettet ist und relevante demokratiepolitische Themen unterkomplex, unbefriedigend und fragwürdig in den Stil populistischer Rhetoriken stellt.
This article discusses the media-event »Terror – Ihr Urteil« from a perspective of film and media sociology and of gender theories. The film was broadcasted by public tv-channels (ARD, ORF and SRF), included audience participation and tv-debates on each of these channels. The article refers to three central dimensions: the film, the tv-audience vote and the surrounding discourses. Rhetorical and dramaturgic strategies and the aesthetic means follow gendered concepts for entertainment, emotionalisation and the influencing of audience. The analysis demonstrates that »Terror – Ihr Urteil« is embedded in media and discourse practices of hegemonic masculinities and that issues of democratic policies are positioned in an undercomplex, unsatisfying and doubtful rhetoric of populism.
Dieser Beitrag untersucht Ferdinand von Schirachs Theaterstück »Terror« aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive. Der Jurist von Schirach gibt den Stand der Diskussion über den Abschuss eines von Terrorist*innen entführten Passagierflugzeuges nur höchst unterkomplex und unzureichend wieder. Das führt zu dem verzerrten Eindruck, das Recht habe für die Bewertung eines solchen Flugzeugabschusses eigentlich nichts zu sagen. Allerdings ist das Gegenteil richtig. Insbesondere das deutsche Grundgesetz ist vom Bundesverfassungsgericht so interpretiert worden, dass die Rechtsordnung stets die Menschenwürde zu beachten hat und deswegen ein Flugzeugabschuss niemals als rechtmäßig bewerten darf. Das Theaterstück ist nicht geeignet, die Öffentlichkeit fundiert über schwierige Rechtsfragen aufzuklären, sondern betreibt Volksverdummung in Rechtsfragen.
This article examines Ferdinand von Schirach's play »Terror« from a constitutional perspective. The lawyer of Schirach reflects the state of the discussion about the downing of a passenger plane, hijacked by terrorists, in a highly subcomplex and inadequate way. This leads to the distorted impression that the law had nothing to say about the evaluation of such a downing. However, the opposite is true. In particular, the German Basic Law has been interpreted by the Federal Constitutional Court in such a way that the legal regulation must always take human dignity into account, and therefore may never assess an aircraft firing as legal. The play is not suitable for informing the public about difficult legal issues in a well-founded way, but dulls the audience on legal issues.
Die strafrechtliche Verbrechenslehre, die in den kontinentaleuropäischen Ländern im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, erlaubt dem Staat ausnahmslos nur dann auf ein mit Strafe bedrohtes Verhalten tatsächlich mit Strafe zu reagieren, wenn der Täter auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Diese beiden Stufen verfügen jeweils über einen einigermaßen robusten Kern. Die dahinter stehenden Wertungen sind einfach nachvollziehbar, entsprechen sie doch einigermaßen breit geteilten Gerechtigkeitsvorstellungen der westlichen Gesellschaften. Das Szenario eines Rettungsabschusses wie in Ferdinand von Schirachs Theaterstück »Terror« erschüttert sie jedoch in dieser Selbstverständlichkeit: Hier rettet der fiktionale Täter Menschenleben durch die Opferung anderer Menschenleben – und die überwältigende Mehrheit des zur Abstimmung aufgerufenen Publikums plädiert für seinen Freispruch. Damit stellt sie den bislang weitgehend unbestrittenen Grundsatz in Frage, dass das menschliche Leben ein absoluter und daher nicht quantifizierbarer Wert ist. Hat diese Mehrheit Recht? – Dies soll nach einem gerafften Überblick über die Konzepte der strafrechtlichen Zurechnung geklärt werden. Im Mittelpunkt steht die Frage eines Notstandes: zum einen auf der Ebene der Rechtfertigung und zum anderen als Entschuldigungsgrund.
The civil legal tradition of criminal law, which was developed during the 19th century in continental Europe, applies a tripartite structure of offences. Accordingly, beside the actus reus, in order to punish an individual for his or her conduct, a general element of unlawfulness (the absence of justifications) and a general element of guilt (the absence of excusatory defences) is required. These two stages of examination imply ideas of justice and justification that are common among Western societies. However, the scenario drawn up in Ferdinand von Schirach’s play »Terror« shatters these taken-for-granted conceptions. A fictional perpetrator saves human lives by sacrificing others. The verdict, rendered by the audience, is: not guilty. This verdict challenges the acknowledged principle of the absolute protection of human dignity under the constitution and thus the unavailability of human life to any quantification. Is the majority of the audience right to deviate from this principle? By reconsidering the concepts of criminal liability, especially the idea of justified emergency in the realm of unlawfulness (»Rechtfertigung«) and duress in the realm of guilt (»Schuld«), this article will address the question.