Heft 1 / 2007: "Lebenswelten von Kindern"

Renate Kränzl-Nagl / Johanna Mierendorff

Abstracts

Kindheit im Wandel – Annäherungen an ein komplexes Phänomen

Dieser Beitrag reflektiert Annäherungen an Kindheit und ihren Wandel aus unterschiedlichen Perspektiven. Zu Beginn werden Kindheit im Alltagsverständnis sowie die öffentlichen, v. a. medialen Diskurse über Kindheit beleuchtet. Besondere Berücksichtigung finden jene Bilder von Kindheit sowie Entwicklungen in der Kindheitsforschung, besonders in der neueren Kindheitssoziologie, die das Verständnis von und die Zugänge zu Kindheit und ihrem Wandel vielfältig prägen. Zudem werden Indikatoren des Wandels von Kindheit in modernen westlichen Gesellschaften vorgestellt und mit Beispielen aus Österreich und Deutschland illustriert. Diese Indikatoren wurden in der Forschung zu Etikettierungen von Kindheit in gegenwärtigen Gesellschaften verarbeitet – dies wird im Artikel kritisch diskutiert. Deutlich wird das Fehlen eines ganzheitlichen theoretischen Konzepts insbesondere in der Kindheitssoziologie, das Kindheit im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung erklärt. Daher werden in Schlussfolgerungen Herausforderungen für künftige (soziologische) Kindheitsforschung formuliert.

Changing Childhood – Approaching a Complex Phenomenon

This contribution reflects approaches that focus on childhood and its change from different perspectives. As a starting point we high-lighten the meaning of childhood in everyday life as well as current discourses in the public and the media. A special emphasis is placed on images of childhood and developments in childhood research (particularly in the recently established sociology of childhood) that determine the understanding of and the approaches towards childhood in many respects. In addition, indicators of changing childhood in modern western societies are introduced and illustrated by examples of Austria and Germany. These indicators have been used to »stick-on label« childhood in contemporary societies – a fact that is critically discussed in the article. This underscores the absence of a comprehensive theoretical concept in the field of childhood sociology that explains childhood in the context of societal change. In the conclusions we emphasize future challenges for (a sociology-based) childhood research.

Ingrid Paus-Hasebrink

Abstracts

Kinder als Konstrukteure ihrer Alltagsbeziehungen – zur Rolle von »Medienmarken« in Kinder-Peer-Groups

Der Beitrag beruht auf einer Rezeptionsstudie im Rahmen einer größeren Untersuchung in Deutschland über »Medienmarken« im Alltag von Kindern. »Medienmarken« sind Medienangebote, die einerseits von den Produzenten mit speziellen, einzigartigen Markenzeichen ausgestattet werden, andererseits – im vorliegenden Fall – von Kindern als für sie etwa im Rahmen von Peer-Groups wichtige und anerkannte »Marke« genutzt werden. Der Artikel fragt danach, wie Kinder unterschiedlichen Alters und Geschlechts spezielle Medienmarken nutzen und wie sie diese zur Gestaltung von Beziehungen innerhalb ihrer Peer Groups einsetzen. Dabei widmet der qualitative Untersuchungsteil der eigenen Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit von Kindern besondere Aufmerksamkeit. Es wird deutlich, dass Kinder zwar eine breite Palette an Medienangeboten nutzen – bei weitem nicht alle der ihnen offerierten Produkte erreichen aber den Status von »Kinder-Medienmarken«, die Kinder aktiv auch zur Integration in ihre Peer-Group einsetzen können. Sehr wichtig ist in diesem Kontext die in den Freundeskreisen und Peer-Groups der Kinder dominierende Lesart, d. h. jene Interpretation, die in diesen Beziehungen die wichtigste ist.

Children as Designers of their Everyday Life Interactions – the Role of »Media Brands« in Children’s Peer Groups

This article, based on a reception study in Germany about the role of »media brands« in children’s everyday lives, describes how children of different age and gender use specific media brands and how they build interactions or relations with these products in the context of their peer groups. The qualitative part focuses on the independence or the children’s »agency«. The reception study shows that children are using a wide range of media products. It becomes clear that only some of them finally earn the status of »children media brands« and can be actively leveraged for integration into their peer group. A particular way of reading, which is accepted in children’s inner circles or peer groups as a dominant mode, proves to be very important.

Angelika Paseka

Abstracts

Geschlecht lernen am Schauplatz Schule 

Wenn Kinder in die Schule kommen, haben sie bereits Vorstellungen über Weiblichkeit und Männlichkeit entlang der geltenden gesellschaftlichen Normen entwickelt, die für sie handlungsleitend sind und ihre Wahrnehmung strukturieren. Der Beitrag analysiert auf Basis eines konstruktivistischen Sozialisationsverständnisses und vorhandener Untersuchungen, wie Kinder dieses Wissen am Schauplatz Schule aktiv nutzen, um sich selbst als Mädchen bzw. Bub darzustellen. Ein kritischer Blick auf die Organisation Schule und das Verhalten der Lehrpersonen zeigt, dass darin die Kategorie Geschlecht subtil eingewoben ist, auch wenn »Geschlechtsneutralität« proklamiert wird. Es gibt allerdings einige wenige empirische Evidenzen für Situationen, in denen die Bedeutung von Geschlecht zugunsten anderer handlungsleitender Kategorien aufgehoben ist.

Doing Gender in School

When kids enter school, they already have internalised ideas about femininity and masculinity along existing social norms. These ideas pattern their behaviour, perceptions and expectations about the others. This article analyses how children, on the basis of a constructivist theory of socialisation, actively use their knowledge to present themselves as boys and girls. However, their behaviour should be analysed in terms of the school as a »gendered organisation«, and in terms of the teachers themselves, who are conditioned by gender norms and rules while pretending to behave in a gender neutral manner. There is some empirical evidence that in a number of situations the importance of gender diminishes, because other factors structure the situation and the interactions more strongly.

Igor Mitschka

Abstracts

Schuldemokratie – auch in der Volksschule!

Meine eigene Volksschulzeit, die Mitorganisation von acht Kinderkongressen sowie die Diskussion mit vielen VolksschülerInnen haben mir gezeigt: Anders als von vielen Erwachsenen behauptet, besitzen VolksschülerInnen sehr wohl eine eigene Meinung, können diese artikulieren und sind reif dafür, in der Schule mitzubestimmen, wenn sie von ihren LehrerInnen entsprechend unterstützt und gefördert werden. In meinem Artikel berichte ich daher zunächst von meinen Erfahrungen in meiner Volksschulzeit und mit den Kinderkongressen und untermauere meine Argumentation anhand einer best practice-Schule im dritten Wiener Gemeindebezirk, in der ein Klassen- und Schulparlament sowie SchülerInnenmitbestimmung selbstverständlich sind. In einem weiteren Kapitel gehe ich auch auf Meinungen von BildungspolitikerInnen zur Mitbestimmung von VolksschülerInnen ein und hinterfrage die dargestellten Ansichten. Abschließend formuliere ich einige Empfehlungen für mehr Schuldemokratie in der Volksschule.

»Schuldemokratie« (School Democracy) – also in Primary School!

My own time at primary school, the co-organisation of eight children’s conferences as well as discussions with students demonstrated to me: contrary to claims of many adults, primary school students possess an independent opinion that they can articulate and are thus mature enough for participating in school decision-making, when they are supported and promoted by teachers. Therefore, in this article I will report of experiences I made in my own schooldays at primary school and with the children’s conferences and will underscore my line of argument by referring to a »best practice« primary school in the third district of Vienna, where class parliament, school parliament and student participation are taken for granted. In a further chapter, I will focus on opinions of education politicians about participation and codetermination of primary school students, and will question these opinions. Finally, I present recommendations for more school democracy in primary schools.

Anne Wihstutz

Abstracts

Wenn Kinder Verantwortung tragen – Haus- und Sorgearbeit von Kindern in Familie und Gemeinschaft

Der Beitrag fragt, inwiefern die von Kindern geleistete Haus- und Sorgearbeit dazu beitragen kann, den Status von Kindern in der Familie und / oder Nachbarschaft zu verändern und ihren Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen zu verbessern. Verantwortungsübernahme von Kindern wird vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Transformationsprozesse diskutiert, die auch darauf verweisen, dass Erwachsene und Kinder in ihren Beziehungen aufeinander angewiesen sind. Um die Haus- und Sorgearbeit als Arbeit von Kindern analysieren zu können, wird eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs vorgeschlagen, die explizit auch Sorgearbeit berücksichtigt. Im Zuge einer Auswertung qualitativer Interviews mit 9- bis 15-jährigen Kindern in Berlin wird die Bedeutung von Arbeit für Kinder diskutiert. Als wichtigstes Ergebnis gilt, dass sie nützliche und sinnvolle Arbeit leisten, die sie als Familien- und Gemeinschaftsmitglieder ausweist.

When Children Take on Responsibility – House and Care Work by Children in Family and Community

House and care work of children are analysed with regard to their impact on the social status of children in their families and / or social communities such as neighbourhoods. We ask how this work contributes to an improving of the access of children to societal resources. Referring to social transformation processes, the article argues that relationships between adults and children should be seen as being interdependent, with the children bearing responsibility not only for themselves but also for others. The article is based on an explorative project on the meaning of work for children in Germany in the age cohort of 9 – 15 years. For that purpose a concept of work was developed that also includes non-paid care work by children. Put in summary, the article concludes that house and care work conducted by children represents an important and useful contribution to the family or community, which allows children to identify themselves as members of these.