Der Artikel basiert auf einer umfassenden Studie zu Gewalterfahrungen in Heft, bei der auch das Anstaltsklima und die Haftbedingungen detailliert erhoben wurden. Dafür wurden 386 zufällig ausgewählte Inhaftierte in zehn österreichischen Justizanstalten persönlich befragt. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf dem Anstaltsklima: Wie wurde dieses operationalisiert, wie werden die Heftbedingungen von den Inhaftierten eingeschätzt und wie hängen Klimawahrnehmungen mit Berichten über Gewalterfahrungen zusammen? Auf der Basis von Interviews mit zehn von Gewalt betroffenen Inhaftierten und mehreren Expert:innen werden die statistischen Zusammenhänge zwischen Haftbedingungen bzw. Klimawahrnehmungen und Gewalt vertiefend untersucht: Bestimmte Anhalte-Bedingungen und Klimaaspekte fördern nicht nur die Viktimisierung in Haft, sondern sind per se als psychische bzw. strukturelle Gewalt zu verstehen.
This article presents a comprehensive study on violence in Austrian policies that not only scrutinizes the victimization of prisoners, but also investigates in detail the social climate and the detention conditions, which are existing there. In order to do so, 386 prisoners were randomly selected from ten prisons for face-to-face-interviews. The article focuses on the overall institutional climate: How has the concept been operationalized; how do prisoners assess their prison conditions; and finally, how do perceptions of the social climate affect and relate to reports of violence? Through interviews with ten prisoners affected by violence, as well as with several experts, the statistical correlations between violence and prison conditions – the perceptions of the social climate in prisons in more particular – are examined in further depth. The results show that certain detention conditions and climatic aspects not only foster victimization in prison, but are furthermore also being perceived as psychological or structural violence.
Ausgehend von den Arbeiten von Marie Jahoda wird in diesem Beitrag am Beispiel von arbeitsuchenden Wiedereinsteiger*innen reflektiert, inwiefern deren artikulierte Wünsche und Ansprüche an eine zukünftige Arbeit die von Jahoda festgehaltenen manifesten und latenten Funktionen von Arbeit widerspiegeln. Die Auswertung basiert auf 20 problemzentrierten Interviews mit Arbeitsuchenden in Oberösterreich. Diese wurden im Rahmen eines vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank geförderten Projekts geführt, das in Kooperation zwischen dem Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz und dem Institut für Berufs- und Erwachsenenbildungsforschung (Linz) umgesetzt wurde. Auf die Frage nach den Wünschen und Ansprüchen an eine zukünftige Arbeitsstelle nennen die Befragten vor allem die manifeste ökonomische Funktion des Einkommenserwerbs, die zeitliche Strukturierung in Form des Wunsches nach klarerer Abgrenzung von Arbeit und Freizeit sowie soziale Bedürfnisse nach einem konstruktiven Miteinander am Arbeitsplatz. Hieraus ergeben sich Anhaltspunkte für die Gestaltung „guter Arbeit“ im Sinne der von Jahoda angestrebten „Humanisierung der Arbeitswelt“.
The article discusses job apirations and expectations, using the example of job-seeking men and women re-entering the labour market. Thereby reference is made to the work of Marie Jahoda and her well-known differentiation between manifest and latent functions of employment. The empirical analysis is based on 20 problem-centred interviews conducted with job seekers in Upper Austria. These interviews were part of a larger project realized cooperatively by the Institute of Sociology at Johannes Kepler University Linz and the Institute for Vocational and Adult Education (Linz), and was funded by the Anniversary Fund of the Austrian National Bank. Concerning future jobs, the job seekers, who were interviewed, articulated predominantely wishes and aspirations in relation to the manifest economic function of earning an income, to the temporal structure with the desire for a clearer distinction between paid and unpaid work on the one hand and leisure time on the other, as well as to the social need for a constructive cooperation in the workplace. First conclusions promoting the design of „good work“ in the sense of Jahoda’s „humanization of work“ can be derived from the article.
Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit der soziologischen Bewusstseinsforschung und ihren Beschränkungen untersucht dieser Beitrag verschiedene Bewusstseinsformen marginalisierter Menschen und trägt damit zunächst dazu bei, eine relative Forschungslücke zu schließen: Alles in allem sind in der sozialen Ungleichheitsforschung Studien zu gesellschaftlicher Marginalisierung insgesamt schon rar, empirische Untersuchungen zum Bewusstsein ebenfalls selten. Zudem verweisen die Ergebnisse meiner Untersuchung darauf, dass der Suche nach Anerkennung und Respektabilität eine bedeutende Rolle im Hinblick auf das Bewusstsein zukommt. Das Bewusstsein der Befragten gliedert sich in ein dichotomes Gesellschaftsbild und ein individuelles Leistungsbewusstsein. Zwar ist den Gesprächspartner*innen individuelle Ungleichheit durchaus bewusst – für sich selbst betonen sie jedoch ihre Leistungsbereitschaft, um sich selbst als „anständig“ präsentieren zu können. Die empirische Analyse zeigt anschließend, dass ihnen dies jedoch meist nicht gelingt, was dazu beiträgt, dass sich ihre marginalisierte Position verfestigt.
Derived from the scientific discussion based on sociological consciousness research and its limitations, this article examines different consciousness forms of marginalised people and by this contributes to closing a relative research gap. Overall, studies on social marginalisation as a whole already are rare in social inequality research. Empirical studies on consciousness are furthermore seldom. In addition, the results of my study indicate that the struggle for recognition and respectability plays a significant role concerning consciousness. The consciousness of the interviewees structures itself between a dichotomous image of society and an individual consciousness of achievement. Although the interviewees are quite aware of social inequality, for themselves they are emphasizing their will to perform so to be able to present themselves as „decent“. In conclusion, the empirical work shows that often they do not suceed in doing so, which leads to a reinforcement of their marginalised position.
Die Corona-Pandemie wird vielfach als die größte Krise der Nachkriegszeit angesehen. Das ist zwar grundlegend falsch, weil ihr die für Wirtschaftskrisen typische wirtschaftliche Nachhaltigkeit fehlte: Der Einbruch war zwar tief, aber kurz. Ein Vergleich der Corona-Pandemie mit der Finanzkrise zeigt, dass die Finanzkrise eine Krise des Systemvertrauens mit schweren wirtschaftlichen Folgen war; es bedurfte einer grundlegenden Reform des Finanzsystems, die noch keineswegs abgeschlossen ist. Die Pandemie hingegen war Folge eines exogenen Anstoßes; ihre ökonomischen Folgen konnten weitgehend unter Kontrolle gehalten werden, nicht jedoch ihre gesellschaftlichen. Eine inkonsistente Stop-go-Politik, die teils aus unzureichender politischer Entscheidungsbereitschaft resultierte, führte zu heftigen politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und zu einem nachhaltigen Verlust an Politikvertrauen.
The Corona-pandemic is frequently regarded as the most powerful post-war economic crisis. This is definitely erroneous as the crisis was surely deep in economic terms, but was only short and triggered off not by a systems failure, but by an exogenous shock. The finance-crisis 2008, on the other hand, was a systematic economic crisis of trust in a precarious finance system; the whole system, therefore, had to be overhauled to overcome the crisis. The economic consequences of the pandemic, in contrast, were largely under control, but serious political and social controversies arose. They resulted from an inconsistent stop- and go-policy, out of a consequence of lack of experience and a fear of goverment to act. Trust in policy was lost.
Kein Thema hat die Wissenschaft im letzten Jahr so beschäftigt wie COVID-19. In diesem Essay befassen wir uns mit drei Schlüsselrollen der Wissenschaft während der Pandemie: Grundlagenforschung, Politikberatung und Wissenschaftskommunikation. Wir stützen uns auf Erkenntnisse aus zwei Forschungsprojekten zum Thema „Solidarität in Zeiten einer Pandemie“ in Europa (SolPan) und Lateinamerika (SolPan+). In beiden Projekten wurden die Erfahrungen, Reaktionen auf politische Maßnahmen, soziale Risiken und Bewältigungsstrategien untersucht. Die Ergebnisse der Projekte, aber auch die Umstände, unter denen sie durchgeführt werden, spiegeln globale Ungleichheiten wider und verdeutlichen die Bedeutung kontextsensitiver Forschungsfragen und -ziele. Wir ziehen Bilanz, was die Wissenschaft während der Pandemie bereits erreicht hat, und verweisen auf virulente Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Wir schließen mit einem Aufruf zu solidarischer Wissenschaft.
No other topic has kept the scientific sommunity as busy as Covid-19 in the last year. In this essay, we look at three key roles that science played during the pandemic: basic research, policy advice and science communication. We build on insights from two research projects on „Solidarity in Times of a Pandemic“ in Europe (SolPan) and in Latin America (SolPan+). These two projects use qualitative methods to explore the experiences of people, their reactions to political measures, social risks, and coping strategies. The results of the projects, and also the circumstances, in which they are carried out, reflect inequalities and highlight the relevance of context-sensitive research questions and objectives. In this contribution we take stock of what science has already achieved during the pandemic and highlight current challenges that need to be further addressed. We end with a call for solidarity-based science.
In diesem Beitrag stellen wir dar, wie sozialwissenschaftliche Forschung zur Konzeption einer nachhaltigen City-Logistik für die Stadt Lienz (Osttirol) zum Einsatz kam. Ausgangspunkt des Sondierungsprojekts „KlimaLogisch“ war, dass es bislang in keiner österreichischen (Klein-)Stadt eine übergeordnete Koordination der Güterlogistik gibt. Der derzeitige Zustellverkehr zeigt, dass es sich um nicht abgestimmte Fahrten unterschiedlicher kommerzieller Unternehmen handelt, die soziale, ökonomische und ökologische Auswirkungen kaum berücksichtigen. Wir untersuchten, welchen Bedingungen geschaffen werden müssen, um eine nachhaltige Form der Ver- und Entsorgung von Kleinstädten mit Gütern zu ermöglichen. Der Artikel beruht auf diesem interdisziplinären Sondierungsprojekt: Wir erläutern, wie sozialwissenschaftliche Forschung für die Entwicklung sozial, ökologisch und nachhaltiger Lösungen anwendungsorientiert einsetzbar ist. Anhand qualitativer Interviews definieren wir, was es aus Sicht der Bürger*innen zur Umsetzung eines Transformationsprozesses für die City-Logistik braucht und welche Anforderungen damit in Verbindung stehen. Das Konzept kann politischen Stakeholder*innen Orientierungswissen für die Umsetzung eines nachhaltigen City-Logistik-Konzepts bieten.
In this article we present how social science research was applied for a draft concept of sustainable city logistics for the city of Lienz (East Tyrol). The fact that there is no overarching coordination of goods logistics in any Austrian (small) city was the starting point for the exploratory project „KlimaLogisch“. The current practice in delivery transportation of goods exhibits a never-ending flow of uncoordinated journeys of different commercial enterprises without much concern or social, economic and ecological impacts. We investigated the necessary pre-conditions for a sustainable supply and disposal of goods in small towns. The analysis shows how social science research can be practically used in an application-oriented approach to design and to develop socially, ecologically, and economically sustainable solutions. With the results from qualitative interviews, we were able to define what is necessary for the realization of this transformation process, what the city logistics needs from the perspective of citizens and what the requirements there are. The sustainable city logistics concept serves as an orientation for political stakeholders.