Heft 1 / 2024: "Offenes Heft"

Nadja Bergmann / Ronja Nikolatti

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Zwischen individuellen Erfahrungsräumen und strukturellen Verunmöglichungen. Junge Frauen und MINT-Ausbildungen

Der österreichische Arbeitsmarkt charakterisiert sich nach wie vor durch eine ungleiche, berufsbezogene Geschlechterverteilung, wobei gerade der MINT-Bereich – d. h. Berufe im Feld der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – vorwiegend männlich dominiert ist. Ausgehend davon werden Ausbildungsentscheidungen und Berufswahlprozesse junger Frauen sowie vorfindbare Ausgrenzungsmechanismen und Identifikationsmöglichkeiten in den Blick genommen. Dass bei Entscheidungen für eine schulische, akademische oder Lehrausbildung persönliche Interessen in den Vordergrund gestellt werden, verschleiert bis zu einem gewissen Grad die Wirkung sozio-kultureller Erwartungen, die auch das zugeschriebene Geschlecht betreffen. Es zeigt sich, dass strukturelle und institutionelle Barrieren jungen Frauen den Zugang zum MINT-Feld erschweren und dass förderliche Einflüsse – insbesondere gebotene Erfahrungsräume und Einblicke – einer gewissen Zufälligkeit unterliegen. Dabei können institutionelle und zielgruppenspezifische Angebot geschlechtersterotypen Zuschreibungspraxen, aber auch unterschiedlichen Ausgangspositionen entgegenwirken.

Between Individual Experiences and Structural Obstacles. Young Women and STEM Vocational Education

The Austrian labour market continues to be characterized by an unequal, occupation-related gender segregation, whereby the STEM sector in more particular – i. e., professions in the fields of mathematics, IT, natural sciences and technology – it predominantly male-dominated. Based on this, the focus is on educational decisions and career choices of young women as well as the mechanisms of exclusion and opportunities for identification that can be found. The fact that personal interests are placed in the foreground when deciding on an educational or vocational training obscures to a certain extent the effect of socio-cultural expectations, which also concern the attributed gender. It can be seen that structural and institutional barriers make it difficult for young women to enter the STEM fields and that beneficial influences – in particular the opportunities to gain experience and insights – are to a certain extent a matter of chance. Institutional and target group-specific programs may counteract gender-stereotypical attribution patterns as well as different social positions.

Patrick Rohs / Johanna Willmann

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Veränderungen von Werten und Einstellungen in Österreich im Zuge der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie stellte einen markanten Einschnitt in gewohnte Lebensrealitäten dar. Sie zwang Politik und Gesellschaft zu bis dahin weitgehend ungekannten Reaktionen und machte eine Anpassung an die neuen Gegebenheiten erforderlich: Inwiefern sich die im Zuge der Pandemie entstandenen Dynamiken auch auf Einstellungen und Werthaltungen in Österreich auswirkten, wurde vom Netzwerk Interdisziplinäre Werteforschung der Universität Wien im Rahmen einer Sonderedition der Europäischen Wertestudie (EVS) erforscht. Die beiden 2012 und 2022 durchgeführten Befragungswellen zeigen dabei gegenüber der jüngsten regulären EVS, die 2018 vor der Pandemie durchgeführt wurde, vor allem im politischen Bereich markante Veränderungen: Hierzu zählen etwa der Rückgang des Vertrauens in Institutionen, eine geringere Zufriedenheit mit dem Funktionieren des politischen Systems sowie eine veränderte Partizipationsbereitschaft. Weitere bereits vor der Pandemie beobachtbare Trends, die sich im Zuge der Pandemie beschleunigten, betreffen den Rückgang der Wichtigkeit von Arbeit bei gleichzeitig steigender Bedeutung von Freizeit sowie einen Bedeutungsverlust klassischer Formen von Religiosität.

Changing Attitudes and Values in the Wake of the Covid-19 Pandemic in Austria

The Covid-19 Pandemic represented a significant break in the usual realities of life. Politics and society were forced to adopt that had been virtually inconceivably until then. The Interdisciplinary Values Research Network at the University of Vienna conducted a special edition of the European Values Study to examine the impact these changes had upon attitudes and values of people in Austria. Compared to the the last regular EVS before the onset of the pandemic, which had been collected in 2018, the EVS special edition, which was collected in two waves in 2021 and 2022, demonstrated thus striking shifts and changes in the political realm: people lost trust in institutions, were less satisfied with the way the political system worked, but were more willing to engage politically. Other trends that had been observable before the pandemic did gain further momentum, like a decrease of importance of work, an increase of the importance of leisure time, or a loss of significance of traditional forms of religiosity.

Nico Tackner / Rebecca Schaffer / Dieter Reicher / Markus Hadler

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Wahlentscheidungen in Österreich. Eine Analyse der Übereinstimmung von Parteipräferenzen und -programmen im Vorfeld der Nationalratswahl 2024

Dieser Beitrag analysiert die Übereinstimmung der politischen Ansichten von Wähler:innen mit den Parteiprogrammen im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahl 2024. In diesem Aufsatz werden Daten aus dem Sozialen Survey Österreich 2023 und dem Manifesto-Projekt verwendet, wobei der Fokus auf den Themen direkte Demokratie, nationale Souveränität und Multikulturalismus liegt. In der politischen Landschaft Österreichs, geprägt von traditionellen und neuen Parteien, zeigt sich die größte Übereinstimmung zwischen den Parteiprogrammen und den Haltungen bei den Wähler:innen der FPÖ und NEOS. Teilweise ist eine solche Übereinstimmung auch bei den Grünen, der ÖVP und der SPÖ zu beobachten, wobei die größten Diskrepanzen bei SPÖ und ÖVP zu verzeichnen sind: Im Ergebnisteil und in der Diskussion werden diese Befunde mit den Nachfrage- und Angebotsmodellen der politischen Soziologie in Verbindung gebracht, wobei auch auf die Entwicklung der Parteipositionen im Zeitverlauf eingegangen wird.

Voting Decisions in Austria: An Analysis of the Consistency of Voter Preferences and Party Manifestos in the Run-up to the 2024 National Election

This article analyzes the correspondence between political views of voters and party manifestos in the run-up of the 2024 Austrian national election, using data from the Social Survey Austria 2023 and the Manifesto Project, with a focus on direct democracy, national sovereignty, and multiculturalism. In the political landscape of Austria, characterized by traditional and new parties, the greatest similarities between party programs and attitudes were found among FPÖ and NEOS voters. Partial similarities can also be observed among the Greens, the ÖVP and the SPÖ, whereby the greatest discrepancies are seen for the major parties SPÖ and ÖVP. These findings are linked to the demand and supply models of political sociology and are being discussed with a view on the development of party positions over time.

ilse Marschalek / Maria Angerer

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Der Körper als Erkenntnisorgan für die Sozialwissenschaften – eine Annäherung mittels künstlerisch-phänomenologischer Methode

Künstlerische und kunst-therapeutische Methoden sowie Ansätze einer Phänomenologie basieren darauf, dass fundamentale Erkenntnisprozesse über bloße Körpererfahrungen möglich sind. Währenddessen bleibt das Potenzial dieser Methoden für den Erkenntnisgewinn in den Sozialwissenschaften weitgehend ungenutzt. Unsere Projektstudie widmet sich diesen Fragen: Welche Erkenntnisse erlauben uns künstlerische Methoden, wenn wir soziologischen Fragestellungen nachgehen? Inwiefern können auch hier mit diesen Methoden unsere Horizonte und Erkenntnistiefe fundamental erweitert werden? Dazu haben wir erste experimentelle Settings durchgeführt, deren Aufbau und Ergebnisse in diesem Artikel dargestellt werden. Weiterführende Fragestellungen werden identifiziert.

The Body as an Organ of Cognition for the Social Sciences – an Approach through Artistic-Phenomological Methodology

Artistic and art therapeutic methods, as well as phenomenological approaches, are based on the premise that fundamental processes of understanding can occur through simple bodily experiences. Meanwhile, the potential of these methods for gaining insights in the social sciences remain largely untapped. Our project study addresses these questions: What insights do artistic methods provide when exploring sociological inquiries? To what extent can these methods fundamentally expand our horizons and depths of understanding in this context? We conducted initial experimental settings, the structure and results of which are pesented in this article. Further research questions are being identified.

Eva Tamara Asboth / Michaela Griesbeck

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Junge Lebensgeschichten aus Post-Jugoslawien: Relexion über die Rolle der Forschenden im lebensgeschichtlichen Interview

Die post-jugoslawische Generation ist heute in ihren 20er- und 30er-Jahren. Sie hat die jugoslawischen Sezessionskriege der 1990er-Jahre nur teilweise miterlebt. Viele erzählen, dass sie, falls bereits geboren, ihre Kindheit nicht als belastend empfunden haben. Gegenwärtig muss diese Generation mit dem Erbe der jüngeren Geschichte umgehen, denn die Konflikte halten an und die politischen Systeme sind fragil. Wir diskutieren im Artikel, wie Angehörige der post-jugoslawischen Generation über ihr Leben sprechen und welche Rolle wir als Wissenschaftlerinnen dabei einnehmen, wenn wir sie um ein lebensgeschichtliches Interview bitten. Wir reflektieren wichtige methodologische Fragen, die uns im Forschungsprozess begleitet haben: Welche Rolle haben wir als Sammlerinnen von Lebensgeschichten, als Fragende, als Forscherinnen von außen? Welche Folgen hat unsere Anwesenheit als Forscherinnen gehabt und welchen Einfluss auf die Produktion der Lebensgeschichten können wir erkennen? Der Reflexionsprozess ergab, dass wir einen erheblichen Anteil daran hatten, was die jungen Menschen aus ihrer Kindheit erinnern und erzählen. Und dass sie beim Erzählen Frei- und Schutzräume für sich selbst, aber auch für uns aufgebaut haben.

Young Life Stories from Post-Yugoslavia: Reflection on the Role of the Researchers in Life Story Interviews

The members of the post-Yugoslav generation are now in their 20s und 30s, hence they only partially experienced the Yugoslav wars of secession in the 1990s. Those who had already experienced the wars told us that they have not many bad childhood memories. Nevertheless, this generation must deal with the legacy of recent history today, as some conflicts never disappeared, and the political systems are fragile. In this article, we discuss our role as researchers during the life story interviews with members of the post-Yugoslav generation, how they framed topics like growing up and childhood memories for us. We reflect on methodologcial questions that accompanied us in the research process. What ist our role as collectors of life stories, as questioners, as researchers form the outside? What consequences did our presence as researchers have and what influence can we recognize on the production of life stories? The process of reflection revealed that we played a significant role in what the young people remembered and talked about their childhood. It also revealed that in telling their stories, they created safe spaces and protective mechanisms for themselves, but also for us.